»Was willst du denn mit dieser Fotze.« Schon flogen die schweren Eishockey-Stiefel nah an seinem Kopf vorbei. Geschrei: »Immer ist sie die Schönste, Klügste.« Die Frau schlug die Tür mit einem solchen Knall zu, dass die Wände bebten. Zurück, Tür auf: »Hau ab, sie ist ja auch schon so viel weiter, lass mich in Ruhe.« Die beiden waren nicht allein. Weitere Frauen im Raum, sie zogen die Schultern ein, verdrehten die Augen. So lief es häufig, eine lange Zeit, unvorhersehbar, unter uns allen. Laut, brutal, weibliche Mördergruben. Aber dafür weder Strafe, noch Scheidung, noch Rauswurf. Es ging um das, was zwischen den Zeilen passierte.
Adorno: Nach Auschwitz keine Gedichte. Die Version der ersten 68er: Nach Auschwitz keine Kleinfamilie, sie ist die Zelle des Faschismus. »Kommunen leben« lautete daher die Praxis von ein paar wild Entschlossenen. So könnte es gehen, so die Kommune I, kein Mördermonster zu werden, Liebe gar? Vielleicht weil ich hinter meiner Fassade mir selbst so unausstehlich war, hatte mich dieses kurze, magische Jahr berührt, das ich bis heute nicht beschreiben kann. Als hätte dieses Rätselhafte meiner eigenen Mördergrube eine Chance gegeben, etwas Eigenartiges aufgemacht. Was war das? Ich traute mir plötzlich in der Welt alles zu und wagte manches. Irgendwie war ich endlich gut drauf. Nicht lange:
Beziehungen klappten nicht, auch beruflich war der Wurm drin. Was hatte ich nur geträumt? Könnte ich diese verlogene Welt nicht einfach vergessen? Bald mischte nur noch die RAF die Republik auf.
Kämpferische Sinnsuche
Ratlos hielt ich mich an ersten Meditationsversuchen fest, versuchte mich auch frauenbewegt. Ein Therapeut wollte mich »passend« trimmen, back to the roots von Adam und Eva. Afrika und Asien brachten mir wenig, Drogen schon mehr. Wo war meine unbeschwerte Seite geblieben? Unwirklich. Ich sah längst wieder überall Kampf und an allem waren die Männer schuld! Sie waren der hässliche Männerbund: ungerecht, krank, toxisch.
Aber wie meine Mutter wollte ich auch nicht leben. Bloß nicht Kinder und Küche: Also in die weite Welt und Karriere machen! Wie aber geht das? Grinsen, lächeln, anpassen, gespielter Optimismus? Aus dem ewig gewalttätigen Spiel schien ich nicht rauszukommen. Um mich letztlich immer mehr depressiv zurückzuziehen: In mir eine wachsende Leere, die weh tat. Meine kühn behauptete Ablehnung des üblichen Spiels hatte mir nichts wirklich gebracht, in meinem Anti blieb ich gefühlt die »Rippe«? Es war doch schon immer so: Dem Puppenhaus konnte keine Frau entkommen? Weibliche Selbstverwirklichung ist nicht in der Männerwelt zu holen?
Die verlogene Performance
Um schließlich doch auf etwas Unglaubliches zu stoßen und eine Wahlfamilie zu finden. Meinen Standort in Düsseldorf, die Freunde, die eigene Agentur, hatte ich aufgegeben. Filmemachen lernen, schrieb ich auf meine Fahne. Ich dachte: Lebenssinn finde ich im Gestalten, einer Kunst jenseits von Kommerz. Auf nach München! Zunächst traf ich einen, der mir weitaus besseres bot.
Während vieler Filmdreh-Wochen schredderte mir Rainer Langhans mein #metoo von Opfergetue und Selbstmitleid als verlogene Performance. Ich sei in meinem laschen Ehrgeiz, in meiner unentwickelten Weiblichkeit, kalt und gnadenlos, durch frauenbewegte Damenkränzchen verblödet. Und toxisch sei auch die Kunst als Alibi der Spießer, eine Filmkarriere unmöglich, wenn man so wenig über sich und die Menschen weiß wie ich. Dieser Ex-Kommunarde bot mir damit etwas, das ich insgeheim dringend brauchte: einen ehrlichen Spiegel. Was ist mit mir los, wer bin ich? Nach vorn, also utopisch als Menschwerdung gedacht! Wenn nicht die Eva, die ich nie sein wollte. Das war krass: Ich hatte keine Ahnung!
Von der Kämpferin zur Sucherin
Drei Frauen und dieser Mann experimentierten mit etwas, das sie »das Innere« nannten. Oder »Geist« oder »eine liebevollere Welt«. Mir wurde klar: Markierungen unserer Zeit des Aufbruchs. Von diesem Inneren war ich seit damals durchaus berührt und hatte doch praktisch keinen blassen Schimmer. Innen, was könnte das sein: Alles Bisherige auf den Kopf stellen, diese falsche, weil brutale Welt, in der du gewalttätig im Kreis rennst, vollgestopft von unnötigem Mist, unter Rivalen ständig überlastet, eben toxisch!
Auch ich habe mich dann kleinlaut, wenn auch ausdrücklich zur Sucherin ermutigt, zog in ein kleines Apartment mit karger Matratze, nur Tisch und Stuhl, Regal und Schrank. Jeder von uns wohnte einzeln, aber wir trafen uns täglich. Nikotin, Alkohol, Klamotten – gestrichen. Das Lernen des Filmemachens: mein Auslaufmodell. Ich suchte Erhellendes, Heilendes: Ausgiebiges Fasten, lesen geistiger Bücher, gemeinsam viel Zeit an der Isar, in heftigen Gesprächen und stiller Natur. In mir setzte erste Weite ein, etwas Weiches, ein Gefühl von »so ist es richtig«. Bald trug ich Baumwollenes, aß vegetarisch und versuchte ernsthaft zu meditieren. Ich hatte Gefährten gefunden, nichts von Sekte.
»Großkotz«, »Feldwebel«, »Riefenstahl«
Sicherheiten, schale Gewohnheiten abschaffen, um letztlich auf etwas anderes zu stoßen. Dieses Unbekannte, das ich bisher nicht sehen konnte, höchstens ängstlich ahnte, fand unter uns als Labor für »verrückte« Frauen den not-wendigen Raum. Die Jahrtausende lang verdrängte Gewalt als Opfer-Frau zeigte sich in jeder von uns. Drastisch und hässlich! Ich war Sklavin aufgeblähter Einbildungen, nicht authentisch. Langsam tauchte immer mehr schmerzlich Klärendes vor meinen Augen auf: Gewalt gegen jeden, dieses Laute, Harte. Ich hätte mich vor mir selbst fürchten müssen.
»Riefenstahl« nannten mich die anderen Frauen. Gnadenlos vor aller Augen wüteten in mir »Feldwebel« und »Großkotz« und schufen erst die Welt, vor der ich Angst hatte. Ich lernte: Frauen sind weiß Gott nicht die besseren Menschen, ihre unbewussten Machtspiele aus der zweiten Reihe, ihr Besitzwahn wirken umso toxischer. So führt der Mann als Mächtiger aus, was Mutti zuhause befiehlt. Was für ein Zustand!
Immer versuchten wir, durch solche Schrecken als ständige Schattenarbeit hindurch zu finden: Erinnern, wiederholen, durcharbeiten – wie in der Therapie bekannt. Wir Hyänen blieben also nie in der Hölle hängen, sondern erlebten schließlich ein wenig Licht. Wir sind auch anders! Und schon stand die nächste Hölle an. So nutzten wir unser Labor analoger Shitstorms zu Versuchen der Selbsterkenntnis: Auch Frauen sind Faschistinnen und müssen darin nicht stecken bleiben. Weibliche Mördergruben rauf und runter. Für viele Jahre eine ständige Nachtmeerfahrt.
Erinnern, wiederholen, durcharbeiten!
Rainer ermutigte uns, nicht abzulassen, nicht aufzugeben. Dahinter wirkte eine östliche Spiritualität, die er gefunden und ihn gerettet hatte. Sie wurde unser aller Orientierung, wenn auch bei mir stümperhaft. Immerhin spürte ich an guten Tagen erste minimale »Bewegungen« in mir. War das schon Inneres? Und schon Stunden später war davon nichts mehr da. Ein ständiges Scheitern in eine neue Welt, in etwas, das nicht zu fassen war? Einmal zeigten wir unsere Höllen sogar als Reality-Soap wochenlang vor TV-Kameras. Damals waren wir für ein Fernseh-Publikum schockierend, unbegreiflich, das Internet noch weit weg. Inzwischen hat sich das Internet als Forum der Selbsterkenntnis für alle aufgetan: Besonders die Jungen nutzen die Sozialen Medien. Ihre Shitstorms so ähnlich wie einst unsere: Als Anschauungsunterricht der eigenen Mördergruben. Faschistisches öffentlich erinnern, wiederholen und durcharbeiten.
Opfer-Eva vs Zuversicht
Aber unsere in den Medien der Achtziger und Neunziger so skandalösen Shows öffentlicher Höllen von Frauen hat uns doch schnell verstummen lassen. Zuviel »niemand liebt mich«, zu wenig Zuversicht! Befreundete Männer, die zuvor noch fasziniert unsere Nähe gesucht hatten, auch einige Frauen, waren plötzlich verschwunden. Würde man mich als Hexe verbrennen? Ungeliebt und nicht anerkannt, da knickte ich ein. Jede Ablehnung eines TV-Projekts, das ich den Sendern anbot, verstärkte meine Zweifel. Kommunikation erweitern, mich endlich eigensinnig und authentisch bewegen, traute ich mir immer weniger zu.
Ich fühlte mich trotz der Frauen um mich sehr allein, beschuldigte wieder alle anderen und zog mich schließlich zurück: Im langatmigen Mediengeschäft zu kämpfen, lohne sich nicht. Dort hätte ich mit meinen eigenwilligen Themen keine Chance. Die harte Opfer-Eva in mir hatte gewonnen? Oder wollte ich sanfter werden, freundlicher und unter dem Radar ganz anders einen neuen Anlauf nehmen? Ich zog in eine größere Wohnung, fuhr ein besseres Auto, pflanzte Blumen auf dem Balkon. Welcome back. Manchmal musste ich lachen. War alles umsonst gewesen?
Und am Ende bleibt die Liebe?
Ich hatte nicht tiefer verstanden, dass es auf meinem Weg raus aus dem Eva-Schwachsinn immer um das Scheitern gegangen war. Scheitern aus der Opfer-Rolle, aus weiblicher Rivalität, aus Intrige und Machtspielen in etwas so viel Besseres, in das Eigentliche, eine größere Kommunikation der Liebe willen. Großes Wort: der Liebe willen. Die Vision meiner 68er Generation, letztlich ebenso meine Vision, kann gar nicht sterben. Noch wirkt sie im Verborgenen, von mir und allen Menschen unbemerkt. Scheitern aus einer veralteten Welt der Feinde.
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Unser Ex-Kommunarde und Gefährte Rainer Langhans ist die einzige Lichtgestalt in dieser Wüste, die ich kenne. Er geht unbeirrt seinen Weg, ermutigt mich, meine Gefährtinnen, plädiert in der Öffentlichkeit immer wieder für das Internet als einem ersten Tool, das die Menschheit nutzen könnte, um weiter aus der üblen Welt eines überbordenden Materialismus heraus zu scheitern. Wir tun das längst, sagt er, nutzen derzeit unseren Genozid der Natur als bedrohlichen Klimawandel, um aufzuwachen. Vielleicht müssen noch mehr Schrecken kommen: Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Bis das Licht für Mehrheiten sichtbar wird. Denn, so Rainer aus eigener Erfahrung: In der Mitte der Dunkelheit läge das Licht. Die Super-Kommunikation aller als kommende Liebe sei schon jetzt in Teilen sichtbar, keine Illusion. Natürlich muss ich bei solch schönen Aussichten nörgeln: Das dauert alles so lange! Daraufhin sein Lächeln: Den Zeitfaktor kennt natürlich keiner.
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