Ausgestorben
»Wertstoffhof! Dass ich nicht lache!«, sagt das Ausstellfenster zum Telegramm, »uns recycelt niemand mehr.«
»Wir sind hier auf dem Friedhof der guten alten Dinge«, pflichtet der Blümchenkaffee bei, »nicht mal ‚Manufactum‘ nimmt uns ins Sortiment.«
»Von meiner Art gibt es zwar noch ein paar«, nuschelt der alte Briefmarkensammler, »aber wir sterben aus, sind nicht genug, um uns fortzupflanzen.«
Neben ihm sitzt ein Backfisch, der einem Halbstarken schmachtende Blicke zuwirft, aber der ist schon sehr verblasst.
Hagestolz und Blaustrumpf trauern der Sommerfrische nach. Da fragt das Tonbandgerät in die Runde: »Gibt es eigentlich den Musikantenstadl noch?«
Gelesen von Barbara Pinheiro (Aufnahme und Schnitt Volker Gerth/ Audio Media Verlag, Regie Iris Seyband).
Klimaextreme
Eine lange Dürre und eine Hitzewelle treffen sich im Freibad und begrüßen sich mit großem Hallo. Einträchtig liegen sie dann auf der Wiese in der Sonne, geraten ins Plaudern und bald ans Eingemachte.
»So geht das nicht weiter«, sagt die lange Dürre, »ich trete auf der Stelle, ich brauche mal was Neues.«
»Ach«, seufzt die Hitzewelle, »das verstehe ich, mir geht’s genauso. Aber ich kann mich zwischen zwei Kerlen nicht entscheiden, dem Waldbrand und dem Temperatursturz.«
»Du und der Waldbrand? Auf den habe ich zuerst ein Auge geworfen!«, empört sich die lange Dürre.
»Naja…«, die Hitzewelle überlegt, »und wer wäre deine zweite Wahl?«
»Vielleicht die Überschwemmung. Gegensätze ziehen sich an, und ich bin sowieso ein bisschen bi.«
Sie schweigen eine Weile.
»Ich weiß, was wir machen!« Die Hitzewelle strahlt. »Erst wir beide mit dem Waldbrand einen flotten Dreier. Dann lässt du dich von der Überschwemmung vernaschen und ich mich vom Temperatursturz.«
»Abgemacht!«
Die Beiden verlassen das Freibad und kramen nach ihren Feuerzeugen.
Die nächsten Schritte
Durch das Morgentor der Schönheit
über die Blumenwiese der Vielfalt
durch den schattigen Wald der Geheimnisse
durch finstere Höhlen der Vergangenheit
über die schroffen Berge der Herausforderungen
durch die karge Wüste des Verzichts
auf geraden Straßen der Langeweile
durch die schmatzenden Sümpfe der Lethargie
über die Achterbahn der Begeisterung
durch die coolen Ebenen der Gelassenheit
bei mir ankommen.
Gelesen von Barbara Pinheiro (Aufnahme und Schnitt Volker Gerth/ Audio Media Verlag, Regie Iris Seyband).
Werkzeugfabel
Ein junger, schlanker Schraubenzieher ging in die Welt hinaus, um sein Glück zu machen. Mit seinem gelben Kunststoffgriff und dem glänzenden Chrom war er ein schmucker Bursche. Er war fleißig und kam ordentlich herum.
Als er sich einmal auf einem Dachbalken ausruhte, stöckelte eine aufreizende Zange vorüber. Er pfiff ihr nach, denn so schöne Beine hatte er noch nie gesehen, und er verliebte sich sofort in sie. Aber sie verzog keine Miene, sondern trippelte an ihm vorbei, die schmalen Hüften schwingend, und lehnte sich an einen Stapel Dachziegel.
»He, ich kann Schrauben anziehen!«, rief ihr der Schraubenzieher zu.
»Was ist das schon?«, antwortete sie, »ich finde nageln interessanter.«
»Das finde ich auch«, sagte der Hammer und legte sich der Zange zu Füßen. Da konnte sie seinen kräftigen Holzgriff und seinen schweren, vierkantigen Kopf genau betrachten, und er gefiel ihr auf der Stelle.
»Wir könnten mal was zusammen machen«, sagte die Zange kokett und rückte näher. Ihr großer Mund öffnete sich und umklammerte den Hammer.
Sie heirateten. Der Ehealltag sah so aus, dass der Hammer Nägel einschlug und die Zange diejenigen heraus zog, die schief saßen. Bald beklagte sie sich: »Ich muss immer nur deine Fehler ausbügeln, das ist nichts Kreatives.«
»Du bist eben bloß eine Beißzange«, knurrte er.
»Und du bist echt der Hammer!«, rief sie.
Der Schraubenzieher, der dies beobachtete, war froh, dass er die Zange nicht am Hals hatte, sie hätten nicht zusammengepasst. Er aber schraubte die Schrauben rein und raus, wie es gerade kam, war unabhängig und freute sich seines Lebens. Und mit mancher alten oder auch jungen Schraube hatte er viel Spaß.
Wie es zu den tollen Audioaufnahmen von Barbara Pinheiro und Elfriede Hafner-Kroseberg kam, die ebenfalls eigenleben.jetzt-Autorin ist, berichtet Iris Seyband hier ›.
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