Wir kennen uns aus dem Yoga ››. Pascale ist etwa in meinem Alter und ebenfalls Rentnerin, aber auch sie ist weiterhin berufstätig. Als ich eines Tages erfuhr, dass sie als Gesellschafterin für Seniorinnen und Senioren arbeitet, war ich überrascht. Für mich war das ein Beruf aus alten Zeiten. Könige, Fürsten oder Großbürger hatten einst Gesellschaftsdamen. Ich wusste gar nicht, dass es das heute auch noch gibt.
Ich wollte wissen, wie Pascale zu dieser ungewöhnlichen Arbeit gekommen ist, und sie war gern bereit, mir mehr darüber zu erzählen. Wir haben uns also in dem sympathischen Münchner Café Tante Emma ›› getroffen, um über die Geschichte ihrer „späten Berufung“, wie sie es nennt, zu reden.
Pascale Lorenc kommt aus Frankreich. Genauer aus der Region im Norden, in der man Ch’ti spricht, jenen für den Rest der Franzosen kaum verständlichen Dialekt, der durch die Kinokomödie Willkommen bei den Sch’tis ›› (im Original »Bienvenue chez les Ch’tis«, 2008) einem breiten Publikum bekannt geworden ist.
Pascale sagt, jeder Franzose hört sofort, wo sie herkommt. Das kann ich nicht beurteilen, doch ich finde, dass sie ein ausgezeichnetes Deutsch spricht, ganz ohne das ch’ti-typische Nuscheln, aber mit dem bekannt charmanten französischen Akzent.
Sie wollte sich München nur mal ansehen – und sie ist geblieben
Geboren und aufgewachsen in Roubaix, ist sie mit 24 Jahren nach München gekommen. Sie wollte fort aus Nord-Frankreich, wie viele ihrer Landsleute, und bei einem Job in einem Club Med hat sie einen Münchner kennengelernt, der ihr von seiner Heimatstadt vorgeschwärmt hat.
Sie hat seine Einladung angenommen, um sich München mal anzusehen. Und sie ist geblieben: „Ich hab mich sofort in die Stadt verliebt. Das war 1974, zwei Jahre nach den Olympischen Spielen. Die ganze Stadt war noch richtig schön herausgeputzt. Es hat mir alles sehr gut gefallen, vor allem die Jugenstilhäuser in den verschiedenen Farben, so schön und gepflegt. Aber auch die Landschaft, die Berge und die Seen. Und natürlich hat mir gefallen, dass man in Bayern genauso gern Bier trinkt wie in meiner nordfranzösischen Heimat.“
Pascale hat schnell Arbeit und eine Unterkunft gefunden und sie hat ihre Heimat sieben Jahre lang nicht vermisst.
Intermezzo in der französischen Heimat
Dann ist sie nach Frankreich gefahren, um ihrer an Krebs erkrankten Mutter beizustehen. Als sie nach dem Tod der Mutter nach Deutschland zurückkehren will, lernt sie auf einem Fest einen Mann kennen, der dann der Vater ihrer Tochter wird. Sie heiratet und bleibt in Frankreich.
Die Ehe hält neun Jahre. Nach der Trennung kehrt sie mit der sechsjährigen Tochter Fanny nach München zurück. Hier muss sie feststellen, dass es in Deutschland für alleinerziehende Mütter sehr viel schwieriger ist, eine Arbeit zu finden, als in Frankreich. Damals, 1990, gibt es hier keine Ganztagsschule, und schweren Herzens gibt sie ihr Kind nachmittags in einen Hort. Ständig hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie so wenig Zeit für die Tochter hat. Doch die französische Schule, die Fanny besuchen soll, damit ihr zum Stress der Trennung und des Umzugs nicht auch noch der Stress der fremden Sprache zugemutet wird, ist teuer, und Pascale kann sich einen Teilzeitjob nicht erlauben.
In den folgenden Jahren arbeitet sie für große Firmen im kaufmännischen Bereich. Doch immer wieder muss sie die Arbeitsstelle wechseln, viermal wird ihr betriebsbedingt gekündigt. Ihre letzte Kündigung erhält sie 2003. Da ist sie bereits über 50 und es stellt sich ihr die Frage, was tun?
Freunde, die wissen, dass sie eine gute Masseurin ist, schlagen ihr vor, ihre Gabe zum Beruf zu machen. So beginnt sie eine Ausbildung zur ayurvedischen Therapeutin.
Auf einer Reise nach Indien möchte sie ihre Ayurveda-Kenntnisse vertiefen. Zugleich will sie sich damit einen langgehegten Traum erfüllen: „Mit 23 – es war die Hippie-Zeit – habe ich die indische Philosophie entdeckt. Und ich wollte unbedingt nach Indien. Das Land hat mich fasziniert. Ich sage immer, eigentlich bin ich auf meiner Reise nach Indien in München hängengeblieben!“
Ein Buch verändert ihr Leben
Schon zu ihrem 50. Geburtstag hat sie beschlossen, ihr bisheriges Leben zu ändern, weil sie es als chaotisch und unstrukturiert empfindet. Eine Freundin hat sie auf das Buch Regards sages sur un monde fou ›› des französischen Autors Arnaud Desjardins aufmerksam gemacht. „Ich habe das Buch verschlungen. Es hat mir auf so viele Fragen meines Lebens Antworten gegeben. Arnaud Desjardins ist zu meinem spirituellen Meister geworden.“
Sie nimmt Kontakt zu ihm auf und reist in seinen Ashram in Frankreich. Desjardins bestärkt sie in ihrem Wunsch, nach Indien zu reisen und empfiehlt ihr einen Aufenthalt in einem abgelegenen Ashram im Himalaya. Als sie 2004 zu ihrer sechsmonatigen Reise nach Indien aufbricht, folgt sie dieser Empfehlung: „Diese Einsamkeit dort war für mich eine tolle Erfahrung!“
Zurück in München ist ihr klar, dass sie sich im sozialen Bereich selbständig machen will. Schon zwei Jahre zuvor hatte sie sich ehrenamtlich in der Betreuung behinderter Kinder engagiert. Nun möchte sie sich beruflich der Begleitung alter Menschen widmen: „Eine innere Stimme hat mir immer wieder gesagt: alte Menschen sind die Verlierer in unserer Gesellschaft!“
Doch die Verwirklichung der Idee, sich damit auch ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gestaltet sich schwieriger, als sie es sich vorgestellt hat. Zunächst belegt sie bei der IHK ein Seminar für Frauen, die sich selbständig machen wollen, gefolgt von einem mehrmonatigen Kurs zur Seniorenbegleitung.
Danach arbeitet sie ein halbes Jahr ehrenamtlich in einem Münchner Seniorenstift, um Erfahrungen zu sammeln. Dabei kann sie feststellen, wie groß der Bedarf nach einer Begleitung alter Menschen in solchen Einrichtungen ist. Aber als sie der Heimleitung ihre Dienste gegen Bezahlung anbietet, bekommt sie zur Antwort: „Frau Lorenc, wir holen uns doch nicht die Konkurrenz ins Haus!“
Das bleibt nicht die einzige derartige Erfahrung bei ihren Versuchen, Klienten zu finden. Den Mitarbeitern in den Heimen ist es verboten, Kunden zu vermitteln, und auch die ambulanten Pflegedienste haben kein Interesse daran, ihr zu helfen. Dasselbe gilt für Luxus-Seniorenheime, die sehr viel Geld von ihren Kunden verlangen: „Die Aktionäre verdienen auf dem Rücken der Alten und des Personals. Überall schottet man sich ab, sobald es um Geld geht, das den Einrichtungen durch unsere Mitarbeit entgehen könnte.“
»Wir bekommen keinerlei Unterstützung, wir sind nur geduldet«
Denn Pascale ist nicht allein mit ihrem Angebot. „Es gibt viele ältere Frauen und auch einige Männer, die sich durch die Altenbetreuung etwas dazuverdienen und ihre Rente aufbessern wollen.“ Sie hat versucht, ein Netzwerk dieser Betreuer aufzuziehen, sie hat sich an die Politik gewandt und sogar Unterstützung durch einen Münchner Politiker erhalten, der für sie einen Brief an Peer Steinbrück geschrieben hat. Aber all diese Bemühungen sind im Sande verlaufen.
Und doch hat sie viel zu tun. Wie kommt sie nun an ihre Klienten?
„Ich habe oft Glück gehabt. Meist wenden sich die Angehörigen der Heimbewohner an mich, weil sie sich selbst dadurch entlasten können. So bin ich vor allem in Heimen beschäftigt, was ich eigentlich nicht wollte. Wir bekommen dort keinerlei Unterstützung. Wir sind nur geduldet, weil die Angehörigen uns beauftragen.
An die Leute, die noch zuhause leben, kommt man nicht ran, obwohl es so viele gibt. Sie leiden unter dem Alleinsein, weil gleichaltrige Freunde schon weggestorben sind. Doch oft sind sie zu stolz und vereinsamen lieber, anstatt sich von Fremden helfen zu lassen. Wenn uns dann die Angehörigen beauftragen, sind die Alten anfangs meist sehr skeptisch. Aber wenn die Chemie stimmt, ist alles gewonnen!“
»Ich bin für die seelische Pflege da.«
„Es gibt natürlich Ausnahmen: meine Klientin Roswitha, zum Beispiel, ist 93, eine ehemalige Politik-Journalistin. Sie hat erkannt, dass das Alleinsein nicht gut für sie ist und dass sie Hilfe braucht. Sie hat selbst ein Inserat aufgegeben, in dem sie nach einer „Gesellschafterin mit Niveau“ gesucht hat. 30 Zuschriften hat Roswitha bekommen. Ich habe als Erste reagiert, und es hat sofort zwischen uns gefunkt.“
Und wie gelingt es ihr, das Vertrauen der alten Menschen zu gewinnen?
„Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen. Auf die Eigenheiten und Wünsche der Klienten einzugehen. Flexibel zu sein. Und das eigene Ego zu schrumpfen!“
Pascale mag ihre Arbeit, trotz oder wegen der Herausforderungen: „Jeder einzelne Klient ist anders, jeder hat seine eigenen Interessen und besonderen Wünsche. Die einen wollen diskutieren, über Gott und die Welt. Ich mag es besonders, wenn es um philosophische Themen geht. Andere wollen shoppen gehen, oder ins Café, oder ins Museum. Oder ich soll ihnen vorlesen, viele sehen ja nicht mehr so gut. Manchmal fahren wir auch zusammen irgendwohin. Die meisten sind glücklich, eine Ansprache zu haben und endlich mal wieder ein bisschen rauszukommen. Ich bin nicht für die körperliche, sondern für die seelische Pflege da!“
Wer Pascale Lorenc kontaktieren möchte, ob als Gesellschafterin oder als Kollegin, um ein gemeinsames Netzwerk aufzubauen: einfach anrufen unter 0177 3505964 oder mailen ››
2005 hat sich Pascale selbständig gemacht. Ihr Beruf ist offiziell nicht anerkannt. Die „offiziöse“ Bezeichnung ihrer Tätigkeit lautet „Häusliche Hilfe rund um die Familie“.
Seit jetzt drei Jahren bezieht sie Rente, die trotz 30-jähriger Arbeit im kaufmännischen Bereich nicht üppig ausfällt. Bis dahin musste sie allein von ihren Aufträgen als Gesellschafterin leben, und das war oft schwierig.
Was wünscht sie sich, damit ihre Arbeit leichter wird?
„Ich würde mich freuen, mehr Unterstützung zu erfahren, auch von der Politik. Und ich würde gern Vorträge halten, um den Menschen die Angst vor dem Alter, vor der Unselbständigkeit zu nehmen. Und ich möchte ein Buch schreiben! Ein Buch für meine französischen Landsleute. Den Titel weiß ich schon: Mes amis, les vieux Allemands, also: „Meine Freunde, die deutschen Alten“. Durch meine Arbeit mit den Senioren hier habe ich soviel erfahren über Deutschland und über die Leiden der Menschen im Krieg und in der Zeit danach. In Frankreich reden viele noch schlecht über die Deutschen. Das möchte ich ändern!“
Diese Aussage passt zu Pascale. Sie ist eine sehr warmherzige, mütterliche Frau, immer offen für die Sorgen der anderen, immer bemüht, zu helfen und zu trösten. Dankbare Auftraggeber schreiben, dass sie sie bei der Betreuung ihrer Angehörigen als „liebevoll, sensibel, geduldig, kreativ und kompetent“ erlebt haben.
Ich kann bestätigen, dass diese Eigenschaften sie sehr gut charakterisieren.
Es wäre gut für uns alle, wenn Menschen wie Pascale mehr Anerkennung erfahren würden. Schließlich geht es auch um unsere eigene Zukunft.
Maria Kotulek schreibt
Sehr geehrte Frau Ziegler,
vielen Dank für den schönen Artikel den Sie über Frau Lorenc geschrieben haben. Eine charmante Frau mit einem sehr beeindruckenden Leben. Alles Gute auch für Ihre Arbeit!
Nocker schreibt
Sehr geehrte Frau Ziegler,
da haben Sie einen wunderbaren Artikel über Frau Lorenc geschrieben. Sie ist eine ganz besondere liebenswerte Person, die meinen Mann mehrere Jahre zu Hause sehr gut betreut hat, als ich noch zur Arbeit ging. Die beiden hatten zusammen sehr viel Spass, auch in schwierigen Situationen haben wir immer wieder eine Lösung gefunden. Ich war so dankbar, dass es solche Menschen gibt, die mit Leib und Seele bei der Sache sind. Mit Frau Lorenc stehe ich heute noch in Kontakt. Ich wünsche Frau Lorenc nur das Beste und viel Erfolg mir Ihrem neuen Vorhaben.
Ulrike Ziegler schreibt
Vielen Dank für Ihre freundlichen Worte, Frau Nocker! Ich freue mich sehr, dass der Artikel über Pascale Lorenc so viele postive Rückmeldungen bekommt und ich hoffe, dass das Thema dadurch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerät!
Waltraud Kölbel schreibt
Hallo Ulrike,
auch ich kenne Pascale. Sie ist in der Tat solch ein liebenswerter tiefgründiger und authentischer Mensch. Sie kam vor Jahren in mein Café und sie hat mich durch ihre offene Art und Hilfsbereitschaft sehr oft Unterstützt! Ich fand damal auch schon ihren Arbeitsbereich sehr interessant, bewundernswert und sehr wichtig, ich wünsche ihr viel Glück und Erfolg auf ihrem Weg weiterhin!
Liebe Grüße, Waltraud
Ulrike Ziegler schreibt
Liebe Waltraud, vielen Dank für die nette Rückmeldung. Ich freue mich, dass mein Artikel über Pascale so viele positive Kommentare bekommt. Hoffen wir, dass dadurch mehr über sie und ihre Arbeit bekannt wird!
Liebe Grüße, Ulrike
Calenge schreibt
Liebe Ulrike,
Danke für den tollen Artikel.
Ich bin seit einigen Jahren mit Pascale befreundet und finde, dass Ihr Artikel die ganze Person und Persönlichkeit von Pascale sehr gut wiedergibt.
Ich spüre ihre Leidenschaft und Ihr Engagement für ihren Beruf.
Ich komme ebenfalls aus Frankreich und in meiner Heimat hat eine Gesellschafterin meine Mutter, die an Alzheimer erkrankt war, 3 Jahre lang liebevoll begleitet, mit sehr viel Fingerspitzengefühl.
Ohne Simone, hätte meine inzwischen verstorbene Mutter nicht so lange in ihren 4 Wänden bleiben können. Ich bin Simone unendlich dankbar.
Es braucht unbedingt Anerkennung für diesen Beruf in Deutschland.
Außerdem ältere Menschen und Angehörige, die den Wert einer Gesellschafterin erkennen.
Ulrike Ziegler schreibt
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar, liebe Brigitte. Ich freue mich, dass so viele Menschen auf den Artikel über Pascale reagieren. Es zeigt, wie wichtig ihre Arbeit für die Betroffenen und für unsere Gesellschaft ist und wie dringend dieser Beruf mehr Anerkennung braucht.
Marianne schreibt
Je connais bien Pascale. Toutes les deux avez réussi un super portrait, agréable à lire et j´ai hâte de lire le livre que Pascale veut écrire ! Les photos sont géniales ! Merci
PS : ich freue mich, dass ihr euch im Yoga kenngelernt habt.
Ulrike Ziegler schreibt
Merci bien de tes mots gentils, chère Marianne! Ich freue mich auch, dass ich EUCH ALLE in deinem Yoga kennenglernt habe!
Esra schreibt
Ich wünsche Pascale Loranc viel Erfolg weiterhin! Der Artikel über sie ist klasse!
Ulrike Ziegler schreibt
Danke, Esra!
Ulrike Ziegler schreibt
Schön, dass Ihnen das Portrait von Pascale gefällt! Sie ist eine wunderbare Frau!
Eva Heinloth-Warkotsch schreibt
Ich kenne Pascale Loranc. Das ist ein sehr schönes und treffendes Portrait von ihr! Ich freue mich darüber.
Danke.