Nachdem unsere fünf Kinder aus dem Gröbsten raus sind, genieße ich meine zunehmende Freiheit und halte das Thema „Baby“ für ausreichend bearbeitet. Kein „Seelenklingeln“ beim Schauen in fremde Kinderwagen, kein Kaufzwang beim Anblick bunter Holzklötzchen in der Spielwarenabteilung und keine Weihnachtsstimmung beim Tragen eines Babys auf dem Arm (bei dreien unserer fünf Kinder stand die Wiege unterm Tannenbaum). Nur wenn ich alte Fotos anschaue, regt sich noch einmal das feine Sehnen, so ein zartes, vollkommen neues Menschenkind zu umsorgen. Kurz: Ich dachte, mein Bedürfnis nach Reproduktion sei vollkommen gestillt, ich konnte mich neuen Lebensthemen zuwenden.
Doch plötzlich sind Geburtsvorbereitungskurse, Ernährungsempfehlungen für Schwangere und Erst-Trimester-Screening top aktuell, denn: Wir sind in der 25. Schwangerschaftswoche, meine älteste Tochter und ich. Sie wird zum ersten Mal Mutter und ich werde zum ersten Mal Großmutter.
Man hat immer genau so viel Kraft, wie man braucht
Nur bei meiner ersten Schwangerschaft habe ich die Wochen gezählt, später hatte ich genug Anderes zu tun und als ich mein fünftes Kind „unter dem Herzen trug“, fiel mir erst abends, wenn ich ins Bett fiel, wieder ein: Oh, wir bekommen ja noch ein Baby! Die Tage waren einfach zu angefüllt mit herrlich buntem, aber auch anstrengendem und turbulentem Familienleben, wie ich es mir seit meiner Kindheit als Einzelkind gewünscht hatte.
Nun sind zumindest die Vormittage ruhiger geworden und ich frage mich, wie ich noch vor kurzem (wie mir scheint) das tägliche Mittagessenkochen, die Wäscheberge eines 7-Personen-Haushalts, die Fahrdienste zu Schule, Musikschule und Freunden geschafft habe, wenn es mir jetzt oft nicht gelingt, z.B. so eine kleine Kolumne in diesen Stunden fertigzustellen. Aber das ist das Geheimnisvolle, man hat immer genau so viel Kraft, wie man braucht, man kann den Ernstfall nicht proben.
Der Rückfall in alte Muster kommt wider besseres Wissen
Nun bin ich gespannt, wie meine „Große“ ihr neues Dasein bewältigen wird. Wenn es (zunächst) auch nur ein Kind ist, das sie und ihr Mann erwarten – ich begann meine Mutterkarriere gleich mit Zwillingen, mein Kinderwunsch muss übermächtig gewesen sein – , es gibt keinen vergleichbaren Qualitätssprung im Leben einer Frau, als den Sprung in die Mutterschaft, emotional, perspektivisch und arbeitsvolumenmäßig.
Gestern bin ich durch sämtliche Kaufhäuser unserer Landeshauptstadt gezogen, auf der Suche nach einem Anorak für mich. Und während ich noch darüber nachdachte, dass ich endlich Zeit hatte, ausgiebig nach modischen Kleidungsstücken für mich zu suchen, statt nach „Hallo Kitty-Shirts“ oder coolen Boots, kaufte ich schlafwandlerisch ein supersüßes Shirt in neutralem Türkis und eine Jeans mit weißen Pünktchen in der Größe 56 (meine Tochter und ihr Mann gehören zu der aussterbenden Spezies, die das Geschlecht ihres Kindes nicht vorher wissen wollen), ein winziges Baumwollmützchen und Holzklötzchen aus unbehandelter Buche.
Pascale Lorenc schreibt
Danke, liebe Frau Flögel, für diese kurze, liebevolle, lebendige Beschreibung Ihrer Erfahrung als Mutter einer Großfamilie.
Als „Alleinerziehende“ (ab dem 5. Lebensjahr unserer Tochter) und von Frankreich nach München (meine „Wahlheimat“) zurückgekommen, auch ich wundere mich heute wie ich „alles“ geschafft habe. Es war keine leichte, aber eine sehr bereichernde Aufgabe.
Oft denke ich, dass ich es mit so vielen Kindern nicht gepackt hätte, aber mit Ihrer Erzahlung machen Sie es realistisch „denkbar“.
Wir, Mütter, nicht wahr!…
Überraschend bin ich auch Großmutter geworden… Noé wird bald 6 Jahre alt und ich kann es bestätigen: eine tolle neue Rolle habe ich da entdeckt (keine Verantwortung nur Freude). Genießen, diese Freude ist fast überwältigend.
Ihnen alles Gute, liebe Frau Flögel.
Pascale Lorenc
Birgitt Flögel schreibt
Liebe Pascale, leider habe ich erst jetzt Ihren Kommentar entdeckt, vielen Dank dafür. Im Rückblick frage ich mich auch oft, wie ich das alles geschafft habe, und mit heutigen Wissen würde ich etwas mehr auf mich achten und mehr Hilfe einfordern. Aber ja, es war halt so. Man hat immer soviel Kraft, wie man braucht. Und unsere Enkel als „Lebensernte“ sind ein einmaliges, Freude spendendes Geschenk. Alles Gute für Sie!