Es war ein klarer und sonniger Wintertag, einen Tag vor Heilig Abend, als mein Vater nach dem Mittagessen aufstand und sagte, nachdem mein kleiner Bruder außer Hörweite war: „Ich fahre jetzt in den Wald den Christbaum holen, wer will mitkommen?“ „Ich, ich will mit“, rief ich und rannte schon um mich warm anzuziehen. Mein Bruder hatte starken Husten und musste daheim bleiben. Dann bestieg ich mit meinem Vater, wir beide warm eingepackt, den alten Deutz-Traktor, den er vor einem Jahr gekauft hatte. Nach einem kurzen Weg durch das Dorf bogen wir in einen Feldweg ab und am Ende der Felder und Wiesen, alle von glitzerndem Schnee bedeckt, begann der Wald.
Es war still, nur ab und zu ächzte ein Baum und Schnee fiel schwer von einem Zweig. Er hielt vor einer kleinen Fichtenschonung die mitten zwischen den hohen Tannen lag. So groß wie ein Sportplatz standen junge Fichten und Tannen eng aneinander gedrängt still in der Wintersonne. Irgendwo in der Ferne flog ein Vogel auf, doch plötzlich hörten wir Stimmen die näher kamen. Dann standen sie vor uns: ein hagerer, hohlwangiger Mann mittleren Alters und sein Sohn. Ich kannte ihn von der Schule, er ging wie ich in die zweite Klasse und hieß Simon. Er war eines der Flüchtlingskinder und lebte in einer großen Baracke mit vielen anderen Familien in der Nähe des Dorfes.
Weihnachten ohne Baum?
Unsicher sahen beide uns an und dann sagte mein Vater, der wohl sofort erkannte um was es ging: „Ihr zwei wollt sicher auch einen Christbaum holen, habt ihr schon einen gefunden?“ Der Mann schüttelte betreten den Kopf und murmelte kaum hörbar, dass er nicht stehlen wolle, aber er sei seit einem Monat ohne Arbeit und das Geld das sie von der Gemeinde bekämen reiche gerade zum Leben. Aber Weihnachten ohne Baum für die Kinder, das sei doch kein Weihnachten oder? Dabei blickte er meinem Vater in die Augen und der Gesichtsausdruck meines Vaters wechselte plötzlich und mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln sagte er: „Ja, das kenne ich. Vor zwei Jahren als ich noch nicht die kleine Landwirtschaft meines Vaters hatte, ging es mir als Zimmermann wie dir und ich habe mir unseren Christbaum auch irgendwo aus dem Wald geholt. Komm mit, wir werden schon einen für euch und uns finden.“ Dann drangen die zwei Männer tiefer in die Schonung ein, sagten wir sollten hier warten und verschwanden hinter den verschneiten kleinen Fichten.
Vorerst noch scheu, begannen Simon und ich einen Schneemann zu bauen und kleine Rindenstücke und Tannenzapfen für das Gesicht zu suchen. Wir hörten plötzlich sägende Geräusche und dann standen beide Väter wieder vor uns. Jeder hatte einen Baum so groß wie er selber in der Hand. Dann wies mein Vater auf den Traktor, Simon und ich quetschten uns eng zusammen und sein Vater saß auf dem zweiten Sitz. Bedauernd ließen wir unseren Schneemann zurück und fuhren zurück ins Dorf. Simons Vater gab meinem fest die Hand und bedankte sich, dann zogen sie mit dem Baum zur Baracke.
Heilig Abend
Einen Tag später, es war am späten Nachmittag, rief mich meine Mutter. Ich hab nachgedacht, sagte sie und drückte mir ein Päckchen, eine alte Schuhschachtel umwickelt mit Packpapier, roter Kordel und einem Tannenzweig in die Hand. „Wenn die Familie von Simon kein Geld für einen Baum hat, haben sie kaum Geld für Geschenke. Es sind einige geräucherte Würste, Sauerkraut und Hutzelbrot darin. Dann fand ich noch ein altes Püppchen von dir, mit dem du nie mehr spielst, einen alten Holzbaukasten und ein paar alte Weihnachtskugeln mit Kerzen. Es ist nicht viel, aber eine kleine Freude ist besser als keine“, meinte sie. „Geh und lauf zu ihnen, damit es rechtzeitig zur Bescherung dort ist.“
Alle lebten in diesem Raum
Warm angezogen lief ich den Weg zur Baracke, ein breites aus Holz erbautes Gebäude mit einem Gang in der Mitte. Links und rechts waren Türen und die verschiedensten Gerüche mischten sich. Ich fragte eine alte Frau nach Simons Familie und sie deutete auf eine Tür zwei Meter weiter. Nach meinem Klopfen öffnete eine rundliche Frau mit Brille und sah mich erstaunt an. Verlegen hielt ich ihr das Päckchen entgegen und sagte, es sei ein kleines Geschenk von uns, und Mama und Papa wünschten ihnen frohe Weihnachten. Dann stand plötzlich Simon da, sein Vater saß neben dem Ofen und die kleine Schwester spielte auf dem Boden. Alle lebten in diesem einen großen Raum, Betten an den Wänden, der Tisch in der Mitte mit einer Holzbank und der Baum aus unserem Wald stand in einer Ecke auf einem alten Stuhl. Er war behängt mit kleinen dünnen Streifen aus Silberpapier und plötzlich wusste ich, warum Simon die letzten Wochen jedes Silberpapier aus alten Zigarettenschachteln gezogen hatte.
Seine Mutter stammelte Worte des Dankes, dann öffnete sie das Päckchen, stellte das Essen auf den Tisch, legte Baukasten und Püppchen unter den Baum, hängte die Kugeln daran und zwickte die Kerzenhalter mit den roten Kerzen an die Zweige. Der Vater holte mit einem Papierstreifen Feuer aus dem Ofen und zündete die kleinen Kerzen an. Als wir alle um den Baum herumstanden, Simons kleine Schwester auf den Armen ihres Vaters, sangen sie plötzlich, erst noch wackelig dann anschwellend, ein altes schlesisches Weihnachtslied. Berührt von der innigen Melodie senkte ich den Kopf. Als ich wieder aufsah in die strahlenden Gesichter, fragte ich nach den Worten und Simons Mutter sagte mit einem Lächeln, sich mir zuwendend: „Sie handelt davon, dass Geben seliger ist als Nehmen.“ Und mit dem Gefühl, beschenkt worden zu sein, rannte ich nach Hause.
Elfriede Hafner-Kroseberg schreibt
Danke die Rückmeldung freut mich. Liebe Grüsse Elfi
Michaela Lederer schreibt
Danke für diese wunderbare Geschichte. Ein Geschenk…
Ulrike schreibt
Was für eine schöne und anrührende Geschichte, liebe Elfi!
Elfriede Hafner-Kroseberg schreibt
Danke liebe Frau Lederer für die Rückmeldung, sie freut mich. Und manche meines Jahrgangs werden sich vielleicht selbst an Ähnliches erinnern.
Liebe Grüße
Elfi