Es brennt ein ewiges Licht vor den Toren von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans am kaspischen Meer. Auf dem Foto: mein Enkel am Yanar-Dag-Felsen, wo das Feuer schon seit Tausenden von Jahren aus dem Stein lodert. Es erlischt nie, es kann nicht ausgehen. Selbst wenn man sich gewaltsam daran zu schaffen machen würde, den gesamten Felsen zuzuschütten, mit Tonnen von Stahlbeton, würde man schnell feststellen, dass das Feuer seinen eigenen Willen hat. Dagegen anzugehen wäre ein unmögliches Unterfangen. Der Gasflamme gelänge es immer wieder, über geheime Wege aus der Tiefe die Oberfläche und die Welt der Menschen zu erreichen, um ihre überirdische Energie zu demonstrieren.
Das geschieht in Aserbaidschan.
Wir beide sind von Istanbul kommend in Baku gelandet, haben uns für vier Tage in einem der vielen Hotels eingemietet und erkunden nun die Gegend.
Der Grund dafür? Nichts Weltbewegendes, nur reine Neugierde, verbunden mit etwas Abenteuerlust, auch einmal am Kaspischen Meer gewesen zu sein.
Das Wahrzeichen der Stadt und des ganzen Landes: Feuer
Das Stadtbild ist unerwartet modern und überwältigend. Die Architektur macht schnell klar: Das Feuer ist das Wahrzeichen des Landes. Doch strenggenommen ist das Erdgas unter dem perforierten Meeresboden der eigentliche Ursprung. Würde es in einer Urform aus den Bohrtürmen strömen und nicht entzündet werden, wäre es, wenngleich giftig, eine Art gläserne Luft. Doch die Gefahr ist groß: Das Gas gehört einem gigantischen Explosivpotential an. Wenn der Mensch es nicht besitzen wollte, würde es sicher nicht darauf warten, gefördert und verkauft zu werden.
So aber macht sein elementares Dasein, zusammen mit dem Öl, den Reichtum des Landes aus. Von dessen Herrlichkeit aber künden fortan die alles überragenden Flametowers auf dem Hügel. In Form von drei identischen Glaspalästen schlängelt sich deren gewaltige Konstruktion über die Altstadt zum Himmel hoch, und es sieht aus, als würden die drei Gebäude jede Sekunde wie Vögel mit riesigen Flügeln ins Universum fliegen.
Der rechte Turm ist ein Hotel mit einer sehr hohen Hotelhalle. Dort wohnen wir nicht, aber wir besuchen das Café, von dem aus man auf die Rezeption schauen kann.
Tagsüber gleichen die Glaspaläste luftigen Gestalten, nachts aber werden sie entzündet, besser gesagt »entflammt« und dann überziehen ihre changierenden Farben aus der Ferne die breite Hafenpromenade und verwandeln das edle Pflaster in eine Landesfahne.
Das Ganze wird zu einem allabendlichen, exklusiven Schauspiel, gleich einem stummen Feuerwerk. Und wenn man die Lichtinstallation des Gebäudeensembles von einer der Molen am Ufer aus verfolgt, sieht man schillernde Ringe auf dem leicht ölverschmierten Meer. Rot-grün-blaue Streifen tanzen auf dem Wasser. Sie wiegen den Blick der Leute auf den verzweigten Wegen, damit sie beschwingt in den Abend schweben können.
Eine Stadt architektonischer Kontraste
Manche Menschen lockt ein solches Meer sogar, darin zu baden. Sie behaupten, es glätte die Haut, und selbst wenn bei ostwestlichem Wind die Luft überall ein wenig wie in einer Werkstatt riecht, hält sich der Geruch gottlob dezent in Grenzen. Nach schon wenigen Tagen nimmt man nichts mehr davon wahr. Beim Anblick der edlen Gebäude entlang der Promenade wird er schließlich ganz vergessen.
Die bunten Cafés und Restaurants an den versteckten Plätzen wecken andere Assoziationen. Man meint, man wäre in Wien, Paris oder Moskau. Und wie überall gibt es natürlich auch hier ein Hardrock Café, unweit des Mauertors zur Altstadt. Dort sind die Häuser vom Feinsten renoviert und getreu im historischen Stil belassen. Der Gesamtkomplex gehört zum Weltkulturerbe. Baku präsentiert sich auf diese Weise als alte und zugleich moderne Handelsstadt an der Seidenstraße. Nur die Kamele fehlen.
Das Feuer …
Die rohe Energie des Feuers, die vom Gas und Erdöl stammt, ist das Hauptgeschäft und wie gesagt das Markenzeichen des Landes. Doch Feuer ist bekanntlich nicht gleich Feuer. Hier präsentiert es sich künstlerisch wie auch philosophisch überhöht als ein sich ständig verwandelndes Element, das harmlos aussieht, das aber dennoch jede Sekunde gezähmt werden muss. Denn es könnte prinzipiell, an den wunden Stellen der Erde unerwartet in bedrohlichem Ausmaß aus dem Inneren ausbrechen und die Oberwelt verzehren.
So ist überall Vorsicht geboten! Vor allem in den runden brunnenförmigen Öfen der Brotbäcker ist die Glut der Flammen unter strenger Beobachtung. Am Eingang zu einem Lokal, in dem auch Brot gebacken wird, riecht die Luft wie Jasminpuder auf einer weichen Wange. Der Raum selbst duftet wie ein Berg exotischer Gewürze neben einer Mischung aus Hefe und Kurkuma.
Die explosive Natur der Erde zu zähmen ist, wie gesagt, die Quelle des Kapitals des Landes und dessen ökonomische Basis. Die expandierenden Gewinne werden in einen unübersehbaren Bauboom gesteckt. Leider jedoch, so vermute ich, können die Armen des Landes, die Familien in den Bergregionen, die dort lange Wintermonate ausharren müssen, nicht daran teilhaben.
Sie überleben jedes Jahr irgendwie und sie können das eigentlich nur, wenn sie genügend Käufer für ihre Handwerkskunst auf den Märkten finden. Das ist gewiss schwierig, aber es scheint zu gelingen, denn sie kehren dann doch – selbst im Winter – immer wieder in ihre Dörfer zurück.
… und die Liebe
Der wahre Grund aber ist vielleicht ein anderer, der nicht nur in zahlreichen Geschichten vorkommt, sondern der mir auch in Georgiens Hauptstadt Tiflis im Park am Fluss, der nach Aserbaidschan fließt, zu Ohren kam: Es ist die Liebe, die hier feuriger sein soll und die Leute in den Bergdörfern bis ins hohe Alter an ihrem Wohnort festhält.
Wenn wir genauer hinsehen ist diese Liebe jedoch nur mit dem Feuer im übertragenen Sinn artverwandt, es spendet zwar auch Wärme, dieses Feuer ist nämlich in Wirklichkeit dem entzündeten Erdgas nicht gleich, so dass alle wissen: Das Feuer der Liebe entflammt nur sinnbildlich das Herz, verbrennt es aber nicht. Es bringt die Gefühle zwar heftig durcheinander – und das oft schon bevor es von der Seele Besitz nimmt – aber es vernichtet sie nicht, wie das der Hass tut. Darum bleiben die Menschen mit ihren Märchen in ihren Dörfern, in den Bergen fern vom Meer, weil sie diese Art der Liebe, die echte, nicht loslassen möchten, auch wenn ihre Glieder nicht mehr können.
Uns aber sollte klar sein, wenn man nur kurz in einem fremden Land ist, wird so manches romantisch idealisiert. Denn wir können nicht wissen, wie es den Menschen wirklich geht. Vielleicht ziehen die jungen Männer aus ihren Dörfern weg, um auf einem der vielen Bohrtürme auf dem Meer zu arbeiten, vielleicht gehen die Frauen in der Gastronomie der Stadt, weil das nicht ganz so mühsam und obendrein lukrativer ist als das Leben der Liebe in einer entbehrungsreichen Umgebung. Wer weiß.
Nichts als kluge Sätze?
Bei dem Thema »Das Feuer der Liebe und die Suche nach dem Lebensglück« entsinne ich mich einiger Passagen in meinem Reiseführer und im Internet, die etwas über die Urreligion des Zarathustra aus dieser Region geschrieben haben, und ich erinnere mich, über den Feuertempel gelesen zu haben, der nicht von ungefähr hier gewesen sein soll, dass in ihm ein reinigendes Licht brannte, das dort »gehütet« wurde, um den Menschen vor bösen Mächten zu bewahren.
Dieses Böse nämlich verkörpern die »finsteren Daevas ››, die zwischen Wahrheit und Lüge nicht unterscheiden können«. Unter ihnen befinden sich »Aeshma« und »Astovidatu«, die zu den Scharen der »Ahrimans« gehören und nur darauf lauern, sich der »Menschenseele zu bemächtigen«. Welch zeitloser Charakterzug dieser Geister!
Doch ich zweifle, ob die Mythen– so wahr ihr tieferer Sinn sein mag – da wirklich je etwas zur sogenannten Aufklärung des Menschen beigetragen haben. Es werden nämlich, wenn nur der eigene Vorteil zählt, allzu oft der weise Kern der Mythen vergessen, vor allem dann, wenn die Welt es nicht schafft, sich gegen die Unbill der finsteren Gier zur Wehr zu setzen. Aber auch das sind leider nur kluge Sätze, ohne Konsequenz.
Begegnungen
Von politischen und religiösen Themen ist in Bakus Straßen wenig zu spüren. Etwaige Haltungen der Menschen in diese Richtung bleiben zumindest uns fern.
In einem Restaurant in der Nähe des Tors sitzt ein Ehepaar am Tisch, das jetzt in New York lebt und auf der Durchreise in den Iran ist, von wo es ursprünglich stammt. Wie jedes Jahr wollen sie wieder Teppiche für ihr Geschäft in Brooklyn einkaufen.
Wir plaudern über dieses und jenes, vor allem über das köstliche Essen und sogar auch ein wenig über die fein renovierten Gebäude, darunter der Palast der Schirwanschahs, dem Herrschaftssitz aus dem 15. Jahrhundert, in dem einem die Kunst der Kalligraphie vor Augen geführt wird und in dem auch in animierten Malereien Fantastisches erzählt wird, und wir sprechen natürlich auch über den Jungfrauenturm mit der Skyline der Stadt dahinter. Wir wollen jedoch, was die Geschichte des Turms betrifft, nicht zu viel problematisieren, um die Leichtigkeit unseres Smalltalks nicht zu unterbrechen. Wir bekommen noch eine Visitenkarte der Adresse in New York, falls wir dort mal vorbeischauen wollen und verabschieden uns.
Danach aber beschäftigt uns – keiner weiß so recht warum – dann doch die Geschichte des Turms. Er wurde um 1100 gebaut und steht in Verbindung mit dem Schicksal einer jungen Prinzessin, die von ihrem Vater verheiratet oder auch selbst von ihm geheiratet werden sollte. Doch um dem zuzustimmen, wollte sie vom Vater etwas gebaut haben. »Ich werde erst heiraten«, soll sie gesagt haben, »wenn du mir einen Turm hast bauen lassen.« Ihre Forderung wurde verwirklicht und führte zu einer ganz ungewöhnlichen Konstruktion mit mehreren Metern dicken Mauern, in deren Innerem sich eine Treppe wie ein, sich nach oben drehendes Spinnennetz befindet. Als das Werk – um 1100 herum – an einem sonnigen Tag fertig war, hat sich das arme Mädchen von den Zinnen ins Meer gestürzt, das zu dieser Zeit direkt daran angrenzte.
Manche unter unseren schlauen Zeitgenossen meinen, so habe die Jungfräulichkeit eben ein besonders tragisches Ende genommen. Selbst schuld! Aber was soll man dazu schon sagen!
Die Entscheidung der Prinzessin war für sie selbst jedenfalls der einzige Ausweg, um ihre Seele zu retten. Ob das Zeichen, das sie gesetzt hat, zu Verhaltensänderungen – damals wie heute jungen Frauen gegenüber – geführt hat, sei dahingestellt. Wir können das nur hoffen.
Der Jungfrauenturm jedenfalls verkörpert in seiner Symbolik eindrücklich das tragische Schicksal des Aufbäumens gegen eine unsägliche Tradition patriarchaler Macht.
Marmor futuristischer Einsamkeit
Wenn in der Stadt geheiratet wird, dann kommt für manche nur die ganz große Kulisse um das Haydar-Center in Frage. Noch steht das Paar für die Fotografen auf dem Marmor futuristischer Einsamkeit, aber nicht weit weg davon wartet die weiße Limousine, die sie über breite Alleen zur großen Feier und zurück zur Familie bringt. Dann wird gut gegessen, Musik gespielt und viel getanzt.
Nachdem das Auto mit der Hochzeitsgesellschaft am Ende der Straßenschlucht verschwunden ist, verspüre ich plötzlich den Impuls, die Geschichte der Prinzessin wie ein Märchen weiterzuspinnen: Das Mädchen wurde nach ihrem Sturz vom Turm überall gesucht, doch nie gefunden. Sie hat sich nämlich, als sie vom Turm ins Wasser stürzte in eine Meerjungfrau verwandelt. Dann hielt sie sich dort etwas auf und ist dann flussaufwärts nach Westen gezogen bis zur Quelle des Flusses.
Am Ende ihrer abenteuerlichen Reise, die eine eigene Geschichte wäre (!), kommt sie an ihr Ziel, zu einem kleinen Bergsee mit kaltem, tiefblauem, klarem Wasser. Und es soll auch so gewesen sein, dass man an einem bestimmten Tag bei Einbruch der Nacht ihre helle Stimme singen hört: Bajurlaia Padabai
Bajurlaia Padabai
Der silberzüngige Reim zerschneidet in einer uns unbekannten und geheimen Nymphensprache die reine Bergluft, und das geschieht, wie gesagt, einmal im Jahr genau an dem Tag, an dem der volle Mond im Osten aufgeht und zugleich im Westen die Sonne unter, exakt in dem Moment des Wechsels der Gestirne direkt an der Quelle des Flusses, der einem Felsen entspringt und seinen Weg ins Meer sucht, das keinen Ausgang hat.
PS: Wir können nicht wissen, was der Reim wirklich bedeutet, aber die Übersetzung könnte ganz einfach lauten: Ich habe mein Glück gefunden.
Was sagen Sie dazu?