Der Mensch ist ein Tier, das lacht!“ (Aristoteles, frei zitiert von Gerhard Polt)
Die Hühner kannte ich schon, aber ich hatte keine Ahnung, dass ihr Schöpfer Peter Gaymann gar nicht so weit von mir im Münchner Umland lebt. Er saß vor mir im Publikum bei einem Vortrag von Dagmar Wagner ›› mit dem Titel „Wenn ich alt bin, werd ich …“
Dort wurde er von der Referentin gebeten, ein paar Worte über sein soziales Kalender-Projekt „Demensch“ zu sagen, das er vor sieben Jahren auf Initiative eines Freiburger Altersforschers hin begonnen hat und das sich für einen menschenfreundlichen und humorvollen Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen einsetzt.
Die Entstehung des Huhniversums
Nach der Veranstaltung hab ich ihn angesprochen, hab ihm von eigenleben.jetzt erzählt und ihn gefragt, ob er mir für ein Interview zur Verfügung stehen würde. Er hat sofort zugesagt und am 1. April (!) haben wir uns in seinem Haus im Münchner Süden getroffen.
Schon im Vorgarten des ehemaligen Gasthauses, das Peter Gaymann und seine Frau Viktoria vor einigen Jahren gekauft und mit viel Respekt für die alte Bausubstanz renoviert haben, begrüßen uns zwei seiner Werke: eine lebensgroße Kuh mit aufgemaltem Verdauungstrakt, gefüllt mit allerlei Bajuvarischem, den ein davor aufgebautes blaues Huhn aufmerksam zu studieren scheint – eine gute Einstimmung auf das, was uns im Innern des Hauses erwarten sollte.
Peter Gaymann bittet uns in sein großes Atelier, das er sich im ehemaligen Speicher des Hauses eingerichtet hat. In einem Vorraum des eigentlichen Ateliers gibt es eine gemütliche Sitzecke. Hier beginnen wir unser Gespräch bei selbst gebackenem Kuchen und und einer Karaffe Wasser.
Meine erste Frage gilt natürlich dem blauen Huhn im Garten, und er erzählt, dass es sich dabei um eine frühe Aktion handelt, die der Ankurbelung des Geschäfts dienen sollte: 1999 hat er 500 solche blaue Hühner als „dreidimensionales Cartoon“ anfertigen und überall in der Stadt Badenweiler verteilen lassen.
„Natürlich sind einige der Hühner verschwunden, andere haben Verletzungen davongetragen. Aber die Aktion war ein voller Erfolg, noch heute werde ich darauf angesprochen!
Nach einem halben Jahr haben wir alles wieder abgebaut. Ich habe die Hühner signiert und bei Ausstellungen verkauft. Die letzten drei oder vier Stück hab ich für mich behalten.“
Damals hatte er bereits seinen Ruf als Hühnerzeichner, der sich vor allem auf Humor-Postkarten gründet, von deren millionenfachem Verkauf er die ersten Jahre lebte.
Aber wieso gerade Hühner?
„Das hat sich so entwickelt. Ich habe alle möglichen Tiere gezeichnet, Schnecken, Hunde, Elefanten, Giraffen. Und natürlich auch Menschen. Die Hühner sind merkwürdigerweise auf größere Resonanz gestoßen als die anderen Tiere. Vielleicht, weil Hühner damals in Cartoons eher selten vorkamen? Ich weiß es nicht.“
Hühner sind sein Markenzeichen
Auf alle Fälle sind die Hühner Gaymanns Markenzeichen geworden, er wird geradezu darüber definiert.
Er lacht: „Das geht so weit, dass mir Leute sagen: ich freue mich jedes Mal, wenn ich in der Brigitte Ihre Hühnerzeichnungen sehe! Wenn ich dann darauf hinweise, dass ich in den rund 30 Jahren, die ich für die Brigitte Cartoons mache, dort noch nie ein Huhn gezeichnet habe, weil die Cartoons mit Menschen wollten, bestehen die Leute drauf und sagen: Doch doch, ich kenne doch die Hühnercartoons in der Brigitte! Ich freu mich bei jeder Ausgabe wieder auf die neuen Zeichnungen!“„Obwohl ich es ja eigentlich wissen müsste, glauben mir die Leute nicht!“
Hühner sind nun einmal das, was Peter Gaymann ausmacht, immer werden sie ihm zugeordnet.
„Die Hühner waren ein Selbstläufer. Nach ein paar Jahren habe ich mein erstes Buch “Huhnstage“ herausgebracht. Das wurde der Grundstein. Gleich wollten auch andere Verlage Hühner haben und Galerien wollten sie ausstellen.“
Der Ideenfundus
Was, glaubt er, ist das Geheimnis für diesen Erfolg?
„Der Humor ist eigentlich immer derselbe, egal, was auf der Zeichnung zu sehen ist. Die Farbgebung, der Strich machen den Wiedererkennungswert aus. Damit es lustig wird, muss im Tierischen das Menschliche sichtbar werden. Ich denke mir also eine typische Hühnersituation aus und überlege mir dazu passende menschliche Äußerungen.“
Und gehen ihm die Ideen nie aus?
Er lacht. „Das darf nicht passieren! Und die Erfahrung zeigt: die Ideen kommen schon, das ist auch eine Frage der Routine. Wenn zum Beispiel jemand einen Auftrag zu einem Thema erteilt, versuche ich, mir entsprechende Situationen vorzustellen, zu überlegen: was könnte jetzt passieren? Was könnten die jetzt sagen? Der Alltag bietet so viele Anregungen! Auch eigene Erlebnisse, die Beobachtung anderer Menschen.
Ich habe immer ein Notizbuch dabei, dort sammle ich Grundideen. In den Zeichnungen werden dann gewohnte Dinge verändert oder verdreht. Das Ergebnis ist dann vielleicht komisch. Man muss eben querdenken!
Und der Witz muss in der Zeichnung selbst liegen, die optische Pointe braucht eigentlich keinen Text.“
Er erzählt, dass er anfangs oft in Buchläden gegangen ist und sich angeschaut hat, was es so gab an Cartoons. Er hat sich dort Anregungen, Impulse von anderen Zeichnern geholt.
Seine Vorbilder waren zum Beispiel Sempé, Janosch, mit dem er häufig in schriftlichem Kontakt war, Waechter. Tomi Ungerer war eine Art Vaterfigur für ihn.
„Man muss selbst aktiv werden.“
Gab es denn familiäre Unterstützung für ihn?
„Nein, da gab es nur Bremser! Meine Eltern waren eher einfache Leute, sie konnten mit Kunst nichts anfangen, für sie war Künstler kein solider Beruf.
Ich hab aber schon immer gern gezeichnet. Ich habe Sozialpädagogik studiert und mit Kindern künstlerisch gearbeitet. Ich bin ein Selfmademan. Niemand hat mich gesponsert.
Nach dem Studium hab ich einfach zwei Jahre lang herumprobiert. Bin früh morgens ins Atelier gegangen und hab mir irgendein Thema ausgedacht.
Schon immer hab ich in Serien gedacht. Ich hab einen Cartoon gezeichnet und überlegt, was könnte man dazu noch machen?
Aber man muss schon auch selbst aktiv werden, wenn man wahrgenommen werden will! In den ersten Jahren hab ich Fotokopien von den Cartoons an Zeitschriften geschickt – von zehn Umschlägen sind sieben zurückgekommen. Die Angst vor Ablehnung ist immer da, aber für die Schublade zu arbeiten macht ja keinen Sinn! “
„Wichtig ist die gute Vernetzung“
Erste Aufträge sind eingegangen und haben ihn ermutigt. Und es wurden immer mehr.
Nach sieben oder acht Jahren hat sich dann der Erfolg eingestellt.
„Damals, Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre, gab es in Deutschland einen Boom für Cartoons. Da gab es plötzlich Bücher und Magazine mit Karikaturen, die Werbung war voll davon.
Jedes Jahrzehnt hatte etwas, was besonders gut lief: die Postkarten, die Magazine, die Werbung, die Bücher. Heute ist es die Mischung von allem, die mein Einkommen sichert.
Wichtig ist auf jeden Fall eine gute Vernetzung: Ausstellungen, zum Beispiel, bringen fast jedesmal neue Kontakte. Buchprojekte kommen inzwischen zustande, weil man mich seit all den Jahren kennt.
Neuerdings gibt es viele Anfragen nach personalisierten Zeichnungen, von Privatleuten für den Opa, von Firmen für den Chef. Das mach ich nicht so gern. Ich kenne die Leute nicht gut genug für die optische Pointe. Das ist eher was für meine Tochter.“
Seine Kinder haben beide kreative Berufe ergriffen. Die Tochter ist Illustratorin von Kinderbüchern, arbeitet oft mit ihm zusammen, fragt ihn um Rat. Der Sohn ist Fotograf und Kameramann.
Freiburg, Rom, Köln und jetzt Bayern
Peter Gaymann ist in Freiburg geboren und aufgewachsen, seine ersten Erfolge hatte er dort, und noch heute verkauft er in der alten Heimat am besten. „Jeder kennt mich da. Immer wieder gibt es Events und Ausstellungen, bei denen ich vertreten bin. Ich mag die Gegend. Die Weinberge, das gute Essen …“
1985 ging er nach Rom, zusammen mit seiner ersten Frau und den beiden Kindern hat er dort fünf Jahre gelebt. „Ich habe Italien immer geliebt. Aber es gab dort wenige Aufträge. Wortspiele funktionieren nicht in einer anderen Sprache, der Humor ist anders. Ich hab also in Italien gelebt, aber weiter für deutsche Auftraggeber gearbeitet: Postkarten, Werbung, Kalender.
Irgendwann hab ich gemerkt, dass ich wieder näher dran sein muss, und wir sind zurück nach Deutschland gegangen, nach Köln. Weil das größer ist als Freiburg, es gibt viele Medien dort, die Menschen sind locker …“
Und wie kommt er von Köln hierher, in ein bayerisches Dorf vor den Toren von München?
Er lacht: „Gute Frage! Meine zweite Frau hat lange als Journalistin in München gelebt. Sie war ein Fan von mir, sie hat mich gekannt, lang bevor ich sie kennengelernt hab. Zuerst war es eine Fernbeziehung. Dann ist sie zu mir nach Köln gezogen und dreizehn Jahre haben wir dort gemeinsam verbracht.
Meine Frau ist immer wieder nach München gefahren, um ihre alten Freunde zu besuchen. Und sie hat sich nach einem Haus für uns umgesehen. Als sie das alte Gasthaus hier entdeckt hat, haben wir sofort zugeschlagen. Wir fühlen uns sehr wohl hier. Die Nähe zum Starnberger See, die schöne Landschaft, und die Stadt ist schnell zu erreichen.“
Und wie geht es weiter?
Peter Gaymann wird im nächsten Jahr 70. Nach wie vor hat er viel zu tun, die Ideen gehen ihm nicht aus. „Sempé hat mal gesagt, wenn man mit seinen Figuren älter wird, dann hat man auch immer Stoff!“
In letzter Zeit geht er also gern Altersthemen an, wie eben mit dem Projekt der „Demensch“-Kalender. „Zunächst hatte ich Sorge, ob man ein solches Thema überhaupt humoristisch behandeln kann.“
Doch das Projekt war gleich äußerst erfolgreich, es wurde im Fernsehen vorgestellt, er wurde damit in die Sendung von Frank Elstner eingeladen.
Inzwischen gibt es Ausstellungen dazu in ganz Deutschland, auch einzelne handsignierte Bilder aus den Kalendern verkaufen sich gut.
Daneben macht er weiterhin Bücher, auch mit nicht humoristischen Zeichnungen, die er auf Reisen anfertigt. Oder Rezeptbücher, zusammen mit der luxemburgischen Sterneköchin Léa Linster ›› . Sein neuestes Buch heißt: „Trüffelschweine und Naschkatzen“ – es ist sein hundertstes.
Im Atelier
Er begleitet uns nach nebenan in sein Atelier. Es ist überwältigend. Der große, helle Raum mit dem schönen Gebälk quillt über von Kunstwerken aller Art: An den Wänden, auf Tischen und Kommoden, in Schränken und Regalen – überall Skizzenblätter, Notizbücher, Hefte, Zeichenutensilien, Bücher und Kalender, und viele Objekte und Collagen aus Dingen des Alltags, die einen in ihrer schrägen Zusammenstellung zum Schmunzeln oder Lachen bringen.
Der Künstler blättert durch einzelne Hefte, zeigt uns Regale, in denen seine Bücher aufgereiht sind, erläutert seine Arbeitsweise und gibt Hintergrundinformationen zur Entstehung einzelner Werke.
„Ich sammle Motive und Eindrücke. Ich habe immer Notizbücher dabei und Stifte und einen Aquarellkasten. Auch auf Reisen. Wenn es mal irgendwo ein Fotografierverbot gibt – zeichnen kann man immer. Ich skizziere meine Ideen, überarbeite sie dann im Hotel, aquarelliere sie. Die Pointe wird später hinzugefügt. Manchmal hab ich sie auch schon von Anfang an im Kopf.“
Verteilt im Raum, in Vitrinen oder als Einzelstück, finden sich Collagen und Objekte, deren Teile er bei seinen Spaziergängen findet und die er dann so miteinander kombiniert, dass etwas ganz Neues, Unerwartetes daraus entsteht.
Auch er selbst muss immer wieder lachen über seine eigenen Kreationen, so, als sehe er sie zum ersten Mal.
Das ist das Sympathische an Peter Gaymann: er ist nicht erhaben über sein Werk, er reagiert wie einer, der über sich selbst staunt, der sich freuen kann über das, was der kreative Prozess in ihm ausgelöst hat.
Als ob ihm das Ergebnis auf überraschende Weise von außen zugefallen sei, ohne eigenes Zutun.
Wir gehen gemeinsam von Tisch zu Tisch, zu Regalen voller Bücher und zu Schränken voller Objekte. Selbst die schönen Balken des alten Dachstuhls sind damit dekoriert.
Wir lachen und wir staunen und finden kein Ende bei dieser Fülle von humorvollen, hintersinnigen und manchmal auch ernsten Exponaten. Tage könnte man in diesem Raum verbringen und dabei immer wieder Neues entdecken.
Aufhören ist keine Option
Ich frage ihn, ob er ans Kürzertreten denkt oder gar ans Aufhören?
„Warum sollte ich aufhören? Wenn man etwas gern macht, wenn man erfolgreich ist und sogar Geld damit verdient, warum sollte man dann aufhören?“
Er will also weiterarbeiten, ein bisschen langsamer machen vielleicht, sich mehr Zeit nehmen zum Lesen, zum Reisen. Aber weiterhin kreativ sein, das unbedingt. „Das was mich nervt, das ist die Bürokratie, dieser ganze Organisationskram. Ich habe jetzt eine Mitarbeiterin, die kommt halbtags und nimmt mir da einiges ab.“
Auf diese Weise gewinnt er auch mehr Zeit, um sich den sozialen Projekten ›› zu widmen, in denen er sich engagiert: für Kinderhospize, für Freiburger Hilfsprojekte und für die Arbeit mit Demenzkranken.
Und er macht mit bei der Münchner Initiative „Forum Humor und komische Kunst“ ›› , die Werke komischer Kunst, sei es in Form von Film, Kabarett, Zeichnung, Musik oder Text, sammeln, erforschen und archivieren und komischen Künstlern einen Ort für ihre Arbeit geben will. Auch hier ist er aktiv dabei, mit vielen weiteren bekannten Humoristen aus den verschiedensten Sparten.
So können wir uns also freuen auf weitere Cartoons, Ausstellungen, Bücher, Kalender und einiges mehr aus der spitzen Feder von Peter Gaymann, die uns zum Lachen bringen und damit unser Leben bereichern.
Werner Grützner schreibt
Hallo, liebe Anne,
mit steigendem Interesse folge ich Deinen Nachrichten, vor allem seit dem großen Artikel zur „Kurfürsten 1“. Muss „unbedingt“ mal vorbeiradeln. Wann kann ich Dich dort antreffen? Ich denke, es gäbe doch so manches zu erzählen…
Peter Gaymann’s Hühner sind aktuell zu sehen zusammen mit Kuriositäten von Rudi Hurzlmeier und anderen Karikaruristen am „Seeweg“ beim Buchheim-Museum in Bernried.
LG, Werner