Benedikt XVI. beendete seine Abendmahlzeit mit einer ausgezeichneten Tiramisu, dann ging er hinüber in sein Fernsehzimmer und legte das Video vom letzten Weltkirchentag ein. Er ließ sich im Sessel nieder, streifte die roten Slipper ab, legte die Füße auf einen Hocker und schaltete das Gerät ein.
Da kam Gott. Benedikt warf sich ihm zu Füßen und wartete, bis der Herr ihm bedeutete aufzustehen. Sie setzten sich einander gegenüber. Benedikt wollte den Kammerdiener anweisen, Wein zu bringen, aber Gott, der Gedanken lesen konnte, winkte ab.
»Ich habe mit dir zu reden«, sagte Gott, »ernsthaft.« Das verhieß nichts Gutes. »Sage mir«, hub Gott an, »wann wird einer meiner Stellvertreter auf Erden endlich diesen unsinnigen Zölibat wieder abschaffen? Und die Frauen müssen gleiche Rechte bekommen, als Priesterinnen mit allen Aufstiegschancen.«
»Wenn du es willst, o Herr«, beeilte sich der Papst zu antworten, »werde ich das umgehend in Angriff nehmen.«
Positives Denken ist angesagt
»Gut«, sagte Gott. »Dann die Sache mit den Homosexuellen. Wenn sie gläubig und vor allem gute Menschen sind, habe ich an ihnen mein Wohlgefallen, wie an anderen auch. Und du solltest ihre Kirchensteuern nicht verachten!« Benedikt rutschte auf seinem Stuhl hin und her und schwieg.
»Meine Jünger und ich als Jesus«, legte Gott nach, »wurden auch von den Pharisäern schief angesehen. Aber wie wir wirklich zueinander standen, ging niemanden etwas an. Merke dir: Liebe und Lust sind in jeder Form göttlich, wenn sie freiwillig und von Herzen geteilt werden, allerdings nur unter dieser Bedingung. Du verstehst, was ich meine?«
Der Papst schaute betreten zu Boden.
»Noch etwas: Ich bin weder katholisch noch evangelisch oder orthodox. Als hör auf mit der Vermessenheit von der allein selig machenden Kirche! Aber biedere dich auch nicht bei den erzkonservativen Abweichlern an! Jeder soll auf seine Fasson selig werden! Der Alte Fritz ist nicht mein absoluter Liebling, aber besser kann ich das auch nicht sagen. Statt dass sich die Konfessionen gegenseitig das Wasser abgraben, sollten sie lieber gemeinsam die Fanatiker aller Fraktionen bändigen.«
Der Papst seufzte. Das stellte der sich so einfach vor.
»Ich weiß, dass es schwer ist«, schnitt Gott ihm den Gedanken ab. »Aber, wer immer strebend sich bemüht, den werde ich erlösen. Positives Denken ist angesagt! Verstehst du?«
»Was ist mit den heidnischen Religionen, den verstandeskalten Agnostikern und dem Atheistenpack?«, fragte der Papst erregt.
»Nun mal langsam und keine Diskriminierungen!«, wies ihn Gott zurecht. »Ich entscheide, wem ich meine Gnade schenke. Eure -ismen sind mir egal. Und was die anderen Religionen betrifft: Haben sie nicht ebenso viel Recht, da zu sein, wie ich? Sind sie nicht Kinder eines Geistes, dessen Kind auch ich bin?«
Was war vor Gott?
»Was? Es gibt noch etwas über dir? Auch du hast einen Schöpfervater?« Das war ja sensationell! Gleich würde er in das größte Geheimnis überhaupt eingeweiht werden: Was war vor Gott?
Das bisher unbeachtete Videoband kam mit einem leisen, aber durchdringenden Knacksen ans Ende. Benedikt XVI. zuckte zusammen. Plötzlich war Gott weg. Der Papst war sich schon nicht mehr sicher, ob er überhaupt leibhaftig da gewesen war.
Vielleicht nur ein Traum, den er schon anfing zu vergessen.
Was sagen Sie dazu?