Der Ostwind fegt durch die dicht belaubte Krone der Korkeiche.
Leise zittert ihr Stamm. Fest steht sie im Erdreich und ungestüm schüttelt der Wind ihre grünen Blätterlocken.
Er führt sie zu einem wilden Tanz.
WARUM BIST DU DA? frage ich den Baum.
Ich tanze das Leben, rauscht es unter seinem Blätterhaupt und die Äste, die knorrigen, wiegen und schwingen.
Ein Eichelhäher taucht auf. Er landet auf einem Ast und hüpft ins trockene Laub.
Ein großer Vogel mit königsblauen Federn und wachen, dunklen Augen.
Er pickt mit seinem kräftigen Schnabel eine dicke Eichel auf und bevor er sich wieder in die Lüfte schwingt frage ich ihn:
WARUM BIST DU DA?
Seine Augen blitzen schlau, ich suche und finde Nahrung zum Leben.
Einen Atemzug später schwirrt eine Biene vorbei, taumelt durch die Luft und lässt sich auf der sonnenwarmen Steinmauer nieder.
An ihren beiden Hinterbeinchen trägt sie zwei prall gefüllte Säckchen mit gelbem Blütenstaub.
WARUM BIST DU DA?
Ich sammle die Süße des Lebens. Ade, Ade!
Nahe der Steinmauer blüht ein Rosenbusch und dort, auf einer roten, samtigen Blüte ruht ein zitronengelber Falter.
Er öffnet und schließt seine zarten Flügel in einem geheimnisvollen Rhythmus und gibt sich der Sonne hin.
WARUM BIST DU DA?
Ich bete das Licht an und huldige dem Leben.
Langsam geht sie Sonne unter, die Schatten werden länger und legen sich auf die grünblaue Wasserfläche des Weihers.
Durch ihre flüchtigen, leichten Bewegungen zeichnen Wasserläufer zarte Ringe auf den glatten Spiegel des Wassers.
Die ersten Frösche erheben ihre Stimmen und sammeln sich zum Chor.
WARUM SEID IHR DA? frage ich.
Wir besingen die Dunkelheit und lobpreisen das Verborgene und die Schatten, und schon tauchen sie ins feuchte Dunkel.
Da kriecht schwerfällig eine dicke, braune Erdkröte unter einem Stein hervor.
Sie stemmt sich auf ihre Hinterbeine und hebt ihren schweren, massigen Körper an.
Schaudernd betrachte ich das Geschöpf und frage:
WARUM BIST DU DA?
Ich bin die Göttin des Erdreichs. Ich bin Hüterin von Werden und Vergehen, von Geburt und Tod.
Ich entferne mich leise und vorsichtig und gehe zum Haus.
WARUM BIN ICH DA?
Ich bleibe gedankenverloren stehen.
Da öffnet sich die Tür und ein Mensch schaut sich suchend nach mir um.
Weil ich liebe bin ich da.
Diese Gewissheit durchdringt mich und ich frage meinen Mitmenschen:
WARUM SIND WIR DA?
Weil wir leben und lieben, antwortet dieser.
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