Liebe Frau Kohut, in Ihrem Buch schreiben Sie, dass jeder Dritte in der Altersgruppe zwischen 50 und 69 Jahren allein lebt. Wie viele davon würden lieber zusammen mit anderen wohnen?
In den Studien, die mir während der Projektentwicklung von GOLD WG ››, also zwischen 2012 und 2017 vorlagen, wurden von 8 bis zu 30 Prozent angegeben. Es bleibt abzuwarten, welche Zahlen kommende Studien ausweisen. Denn Corona-bedingt hat die Angst vor Einsamkeit im Alter in den vergangenen Monaten sicher nochmals signifikant zugenommen. Die positiven Effekte dieser Entwicklung:
Erstens, das Thema ist im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen. Zweitens, es hat eine Enttabuisierung erfahren. Und das war auch dringend notwendig.
Wie unterscheidet sich die WG-50plus vom Mehrgenerationenwohnen?
In beiden Fällen handelt es sich um gemeinschaftliche Wohnformen. Aber die WG 50plus richtet sich, wie der Begriff schon besagt, an eine eingegrenzte Altersgruppe. Das andere Konzept adressiert Menschen unterschiedlicher Altersgruppen. In Mehrgenerationenhäusern leben ggf. Neugeborene ebenso wie Hochbetagte. Für Mehrgenerationenhäuser gibt es in Deutschland übrigens Förderprogramme, für WGs 50plus nicht.
Und wie ist es mit dem Clusterwohnen? Was ist das?
Die Übersetzung dieses englischen Wortes ist »Gruppe« oder auch Anhäufung oder Bündel. Der Begriff »Clusterwohnen« wurde meines Wissens hierzulande zunächst nur für WGs benutzt, bei denen die einzelnen WG-Zimmer – übrigens alle mit eigenem Bad – von den Architekten um einen Gemeinschaftsbereich gruppiert wurden. Mittlerweile spricht man aber, wie ich zumindest aus Wien vernommen habe, auch von Cluster-HGs. Hier sind die Gemeinschafträume dann aber, architektonisch bedingt, auf einer anderen Etage oder am Ende des Etagen-Flures platziert.
Sie sagen, die Gründung einer WG sei »ein Marathon, kein Sprint«: Was sind die entscheidenden Etappen?
Die erste Etappe ist die Suche nach passenden Mitbewohnern. Dauer mindestens sechs Monate. Die zweite Etappe ist ein gegenseitiges Beschnuppern per Telefon und/oder Chat. Mein Tipp: Am besten gleich beim zweiten Kontakt Klartext reden bezüglich Wünsche und Erwartungen.
Die dritte Etappe ist dann das persönliche Kennenlernen. Jetzt gilt es, im Rahmen von mehreren Treffen zu prüfen, ob die Chemie wirklich stimmt. Die vierte Etappe ist schließlich die Suche nach einer Immobilie, die für alle Bewohner*innen gleichermaßen ein Wohlfühl-Zuhause sein kann. Hier zeigt sich dann, wieviel Kompromissbereitschaft tatsächlich in der Gruppe vorhanden ist.
Dass das Bewusstsein für diesen Prozess bei sehr vielen Interessenten nicht vorhanden ist, war eines unserer Learnings in den vergangenen dreieinhalb Jahren. Deshalb haben wir GOLD WG gerade strategisch neu aufgestellt: Der Tätigkeitsschwerpunkt liegt nicht mehr auf der digitalen Vermittlung, sondern auf Beratung und maßgeschneidertem Coaching – sowohl von Privat- als auch Geschäftskunden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass der Wunsch nach einem eigenen Bad ganz oben in der Liste der potenziellen WG-ler steht. Wie lässt sich das in bestehenden Wohnungen lösen?
Es lässt sich nicht immer lösen, aber öfter als vormals, da es mittlerweile faltbare Duschkabinen und Fertig-Duschmodule gibt. Für diese Mini-Bäder benötigt man nur sehr wenig Platz. Zwingend ist jedoch immer ein Kalt- und Warmwasserzufluss.
Frau Kohut, Sie haben vor kurzem unter anderem die Caritas Wien beraten, die gemeinschaftliche Wohnprojekte anbieten will. Was sind dabei die Themen?
Zunächst hat mich die Kontaktaufnahme, ehrlich gesagt, ziemlich überrascht. Denn mit der Caritas verbindet man ja eigentlich Pflege, also eine Kompetenz, die weder GOLD WG als Unternehmen noch ich als Person reklamieren kann. Aber dann stellte sich heraus, dass die Caritas Wien plant, in den Immobilienmarkt Wohnen 50plus einzusteigen.
Es ging bei dem Workshop also um Fragen zum Marktpotenzial von WG-Interessierten und deren Wünsche, Erwartungen und Beweggründe. Und diese Daten haben wir natürlich aufgrund unseres Matching-Fragebogens. Zudem gab es sehr viele Punkte, bei denen ich meine persönlichen WG-Erfahrungen und die Erkenntnisse einbringen konnte, die ich – in gefühlt hunderten – Gesprächen mit GOLD WG-Usern gewonnen habe.
Wie unterscheiden sich WGs für Jüngere von denen für Ältere?
Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Eine WG für Ältere ist nicht vergleichbar mit einer Studenten-WG. Denn für Jüngere Menschen ist die WG immer nur eine Mietzwischenlösung. Für die Generation 50plus hingegen ist sie ein »Lebenskonzept«. Zudem hat in einer klassischen Studenten-WG jeder Mitbewohner nur ein Zimmer, das i.d.R. gerade mal 10 oder auch 14 qm groß ist. Kein WG-Interessent 50 oder 60 plus, der sich selbstbestimmt für diese Wohnform entscheidet, wird für den Rest seines »aktiven« Lebens in ein Zimmer dieser Größe einziehen. Tatsächlich kenne ich WGs 50plus, in denen der eine oder andere Mitbewohner sogar zwei Zimmer für sich alleine hat. Im Übrigen: Selbst wenn sich zwei Menschen sich ein 10-Zimmer-Haus oder eine 200 qm-Luxuswohnung teilen ist es immer noch eine WG. Denn die einzig typischen Merkmale für diese Wohnform sind erstens die gemeinsame Nutzung von Küche, dem Wohn- Essbereich und – in der Regel – eben Bad.
Und zweitens, dass es keinen abgeschlossenen, privaten Wohnbereich gibt.
Sie bieten eine so genannte SWOT-Analyse für Immobilienanbieter, die sich für Wohngemeinschaften interessieren. Was ist das, und wie gehen Sie da vor?
Die SWOT-Analyse ist ein klassisches Marketing-Tool. Es beschreibt die Identifikation der Stärken, Schwächen, Möglichkeiten und Risiken eines geplanten oder bereits realisierten Projektes – im Hinblick auf die angepeilte Zielgruppe – also WG- bzw. HG-Interessenten 50 oder auch 60plus. Ich staune immer wieder, wie oft noch »das Maß aller Dinge« die Studenten-WG – wie eben ausgeführt – ist. Und dann wundert man sich, dass es keine Bewerber gibt, obwohl der Markt nachweislich da ist.
Was sind die Hauptgründe für gemeinsames Wohnen? Die Gemeinschaft? Geld sparen? Nicht alles selber machen zu müssen – putzen, waschen kochen?
Auf Dauer nicht alleine leben zu wollen ist der Hauptbeweggrund; übrigens nicht nur für Singles, sondern auch für Paare. Es geht also im Kern um Kommunikation mit Gleichgesinnten.
Ein weiteres Ihrer Angebote ist das GOLD-WG-Matching. Was genau ist das?
Auf Basis eines wissenschaftlich untermauerten Fragebogens mit 10 Themengebieten wird das Persönlichkeitsprofil des jeweiligen WG- oder HG-Interessenten erstellt, und das wird dann auf Passung mit dem der zukünftigen bzw. Mitbewohner abgeglichen.
Sie selbst wohnen seit vielen Jahren selbst in einer WG. Was sehen Sie selbst als größten Vorteil? Und was als möglichen Nachteil?
In meinem Buch habe ich die WG 50plus umfänglich mit anderen gemeinsamen Wohnformen verglichen. Und ich bin einmal mehr zu der Ergebnis gekommen, dass sie nicht nur das kostengünstigste und ressourcenschonendste, sondern auch das sozial-integrativste von allen gemeinschaftlichen Wohnmodellen sind.
Der Nachteil: In der Regel ist die Entscheidung für eine WG nur sehr schwer rückgängig zu machen. Denn man gibt ja seine Wohnung bzw. sein Haus auf, oder man verpflichtet sich vertraglich gegenüber Dritten zu einem Mietrecht auf Lebenszeit. Und selbst wenn man gemeinsam eine neue Immobilie sucht, geht man eine vertragliche Verpflichtung ein, die sehr langfristig und fast unumkehrbar ist. Deshalb bietet GOLD WG auch einen Workshop an, der die Möglichkeit bietet, alle Entscheidungsfaktoren unter Supervision einer Diplom-Psychologin nochmals kritisch zu hinterfragen.
Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. Was immer du tust, handele klug und bedenke das Ende. Wollen Sie auch die nächsten Jahre und Jahrzehnte so wohnen? Gemeinschaftliches Wohnen ist und bleibt mein Lebenskonzept.
Liebe Frau Kohut vielen herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für uns beim eigenlebenTalk genommen haben. Bevor wir Sie verabschieden, möchte ich unseren Talk gerne nochmal zusammenfassen. Dazu habe ich drei Satzanfänge formuliert mit der Bitte, sie zu vervollständigen.
Gemeinsam wohnen in der zweiten Lebenshälfte bedeutet …
… Lebensqualität mit Menschen zu genießen, die die gleichen Werte und Interessen haben wie ich.
Wenn mein Mitbewohner mich nervt, …
… spreche ich den Punkt an – in einem passenden Moment und auf einer sachlichen Ebene.
Das Schönste am gemeinsamen Wohnen ist …
… auch für mich persönlich die Kommunikation, also gute Gespräche und gemeinsame Unternehmungen.
Regine Morys schreibt
Liebe Frau Kohut,
ich bin auf Ihre Seite gestoßen. Wir sind in der Gründung eines Wohnprojekts 50 plus und suchen noch zukünftige Mitbewohner*innen – könnten wir dazu etwas auf Ihrer Seite posten?