Beate P. erwachte auf ihrer Terrasse, wo sie die Siesta im Liegestuhl verbracht hatte, und fand sich in ein schleimiges Tier verwandelt. Ihr fehlten jegliche Extremitäten, dafür trug sie ein kalkiges Gehäuse auf ihrem Rücken.
Was ist mit mir geschehen? dachte sie.
Sie sah sich um, ihr Gesichtsfeld war weit, aber es fehlten Farben, nur hell und dunkel konnte sie unterscheiden und schemenhafte Gegenstände. Dafür bemerkte sie einen entwickelteren Geruchssinn, der sie instinktiv in Richtung des Rasens lotste.
Ihr Sinn für Sauberkeit verlor sich
Am Gestell des Liegestuhls glitt sie nach unten, indem ihr breiter Fuß sich wellenförmig zusammenzog und weitete. Ein glitschiges Sekret ebnete ihr den Weg. Irgendwie ekelhaft. Beate P. war eine Person gewesen, die auf Sauberkeit hielt, aber sie verlor den Sinn dafür. Hauptsache, der Schleim hielt ihren Körper schön feucht, schützte sie vor rauem oder spitzem Untergrund und ermöglichte es ihr, vorwärts zu kommen.
Schon bald empfand sie das nicht mehr als besonders langsam, sondern als durchaus angemessen. Sieben Zentimeter in der Minute, über vier Meter in einer Stunde, das reichte völlig. Sie atmete durch ein Loch am Saum ihres Körpers, nahe des spiraligen Gehäuses. Gleich daneben konnte sie Verdautes ausscheiden.
Salatblätter – welch köstlicher Geschmack!
Doch erst einmal brauchte sie dringend etwas zu essen und kroch zielsicher zwischen den Grashalmen durch in Richtung Beete. Dass Salat so intensiv roch! Als Mensch hatte sie das nie wahrgenommen. Sie nahm sich die weicheren, schon leicht welken Blätter vor und war überwältigt von dem köstlichen, aromatischen Geschmack. Wie konnte sie nur früher Kopfsalat langweilig finden? Ihre Raspelzunge mit den zigtausend Zähnchen zerlegte die Blätter ratz-fatz. Nur ganz kurz dachte sie daran, dass Besteck und Dressing fehlten. Salat pur direkt in den Mund und in den Verdauungstrakt – das ist das Wahre!
Ein Schlaraffenland
Ihr fiel auf, dass sie keine Kaugeräusche hörte, auch sonst nichts, eine lautlose Welt. Sie würde keinen Mensch sprechen hören und keiner Musik lauschen können.
Aber schon verwehten diese Gedanken. Sie hatte alle Sinne, die sie brauchte, war perfekt an ihre jetzige Umgebung angepasst. Ob sie je zurück könnte in die Menschenwelt? Wollte sie das überhaupt?
Was waren ihre letzten Gedanken vor dem Einschlafen gewesen? Irgendwelche Sorgen wegen Geld, Beruf, Ehestreit. – Freiheit und Entschleunigung hatte sie sich gewünscht. Den Ansprüchen ihres Mannes entkommen. Nicht mehr zu den weight-watchers gehen.
Jetzt hatte sie ihr eigenes Haus und die Welt war essbar, ein Schlaraffenland, in dem Reue unbekannt war.
Im Rausch der Sinne
Als Beate P. in ihrer neuen Gestalt einigermaßen satt war, bemerkte sie, dass es im Salatbeet einige Artgenossen gab, die ihrerseits mampften.
Waren das Verwandte von ihr? Grüßte man sich? Wie unterschied man überhaupt Männlein und Weiblein? Sie befragte ihr Bauchgefühl. Falsche Frage! spürte sie, warte es ab!
Es ergaben sich zufällige Berührungen mit den Anderen. Sie unterschieden sich in Geruch, Geschmack, der Beschaffenheit ihrer Haut und ihres Schleims, wirkten mehr oder weniger anziehend. Ein Individuum kam frontal auf sie zu und richtete sich auf, präsentierte seine Unterseite.
Und schon war es um das Tier, das Beate P. nun war, geschehen. Sie verspürte den unabweisbaren Drang, sich ebenfalls aufzurichten und ihre Unterseite an die andere zu pressen, zu reiben, Sekrete zu geben und zu empfangen im Rausch der Sinne und des Lebens.
Minutenlang dauerte dieses instinktive, lustvolle Spiel, über das Beate alles andere vergaß. Sie war nun ganz eins mit ihrem tierischen Körper, wusste, dass Weibliches und Männliches in ihr wirkten, sie würde sich fortpflanzen, ebenso wie dieser Partner und alle ihre künftigen. Immer wieder würde sie es so treiben.
Nun brauchte sie aber unbedingt wieder einen Happen. Da gab es noch so viel Salat und drüben die Blätter vom Kohlrabi …
Was für eine Ungerechtigkeit …
Etwas Fremdes, Großes ergriff sie, berührte schmerzhaft ihre Stielaugen, die sie sofort einzog.
Was war das?!
Beate wurde in die Luft gehoben und hin und her gewendet. Schutz suchend versteckte sie sich in ihrem Haus, einer Ohnmacht nahe. Würde sie sich zurückverwandeln können, wie aus einem Traum erwachen, oder drohte ihr nun das klägliche Schicksal einer aufgelesenen Weinbergschnecke?
Was für eine schreiende Ungerechtigkeit, einem ungeliebten Zustand zu entrinnen, nur um dem Gesetz vom Fressen und Gefressenwerden zum Opfer zu fallen – und das als Vegetarierin!
Was sagen Sie dazu?