Der große Hund drückt sich schwer atmend an die Mauer. Sorgenvoll schaut er ab und zu auf die Tür. Da ist niemand. Er bedeckt seine Augen zum Trost mit den dicken Pfoten und schläft ein.
Etwas später kommt eine Gestalt aus der Tür, die ihm sagt, er soll aufstehen, weil er eine warme Decke kriegt und Futter und Milch. Sie hockt sich zu ihm, kuschelt sich in das weiche Fell und fragt ihn, wie er sie nur wieder gefunden hat? Wie er sowas schafft?
Der Hund – oder besser die Hündin – schnauft kurz auf und knurrt.
Ach, du meinst, das war eine von deinen leichteren Übungen, würdest du sagen, wenn du was sagen würdest, stimmt’s? Stiegnglander grunzt leise. Die Gestalt drückt das Tier ganz fest und steht auf.
Wir sind gut behütet in der Frauenobacht und du musst gut auf dich Obacht geben. Die lassen leider keine Hunde hinein. Gemein, gell?
Die Gestalt schlüpft ins Haus, der Hund fällt in Tiefschlaf.
Weihnachten war jedesmal anders
Die Leni heisst so, weil ihre Mama gern Lena Christ gelesen hat und sich auch immer so überflüssig vorkommt. Unnötig und unnütz, ein dummes Schneiderlein, so redet die Mama von sich. Der Leni tut das in der Seele weh, weil sie ihre Mutter so schön und chic findet und sie liebt und ihre Näharbeiten ihr sehr gefallen. Die Mama sagt, sie hat halt nicht das Abitur gemacht und nicht studiert wie viele andere Mütter. Was kann sie schon? Nix. Und wer ist sie schon? Ein Niemand.
Das sieht die Leni auch anders.
Sie kennt eigentlich nur Weihnachten, die jedesmal anders anders waren. Mal mit der Omi und Freundin, mal bei der Omi, mal gleich in der Bahnhofsmission, wo die Leute so freundlich waren und es so schöne Geschenke gab.
Mal mit dem Papa, als es ihm noch gut ging.
Aber dann hat er doch die Mama gehaun.
Der Papa war nie mehr froh
Der Papa hätt‘ eigentlich Künstler werden wollen, ein Maler. Aber sie haben ihm alle nie geholfen, niemand. Ihn immer nur ausgelacht und verspottet. Das kann ja die Leni besser malen, haben die Leut gesagt. Und dass er sich nur vor der richtigen Arbeit druckt mit seinem Geschmier. Die Leni hätt mit ihrem Papa weinen mögen, so verletzt hat sie ihn gesehen. Aber er ist stumm da gesessen und hat fast nix mehr gesagt. Die Mama meint, es hätt ihm das Kreuz gebrochen.
Die Leni hat nicht genau verstanden, was das heißt, aber was Gutes war es bestimmt nicht.
Dann hat der Papa irgendwann Geld verdient zum Leben, aber froh war er nie mehr.
Wo er dann in die Anstalt gekommen ist, wie die Mama gesagt hat, dann war es ganz vorbei. Er hat gar nichts mehr geredet, aber immer öfter zugehaun. Und die Leni, die ihren Papa doch sehr lieb gehabt hat, hat sich immer mehr vor ihm gefürchtet.
Und deshalb gibt es auch das Stiegnglander*, das sie beschützt, wenn der Papa ausrastet. Manchmal nützt das auch nix, aber besser ist es so schon.
Hier muss man keine Angst haben
Dann müssen sie weg von daheim, so wie heut. Diesmal in die Frauenobacht, so heisst in München das Haus für Frauen und Kinder, die zuhause gequält werden. Da kann man denn einfach tief und fest schlafen und muss sich nicht die Ohren zuhalten vor den Schreien von der Mama und auch keine Angst haben. Nur dass der Hund nicht mit hinein darf, das tut ihr leid.
Die Omi sagt, eigentlich muss der Papa ja gehen, nicht sie. Aber die Leni möcht nicht, dass er noch trauriger wird. Die Mama möcht das auch nicht.
Aber die Leni möcht auch nicht, dass die Mama noch trauriger wird. Und selber hat sie auch schon genug Traurigkeit – was soll man nur machen?
Die Omi sagt, die Menschen müssen auf die Barrikaden gehen und zeigen, dass man zamhalten und füreinander da sein kann und dass man sich hilft und tröstet und dann wird die Welt auch gut. Man darf sich nicht vom Bösen wie von Corona anstecken lassen. Wenn wir uns alle in die Arme nehmen, dann gehts doch allen gut, oder?
Deine Omi ist eine Kommunistin, sagen manche im Haus. Und wenn, die Leni weiss eh nicht, was das ist.
… man weiß nie …
Als Leni und ihre Mama zurück kommen, steht eine Weihnachtsfrau im Eingang mit einem Wollschaf und einem prallen Sack, und mal singt sie und mal redet sie liebevoll zu den Kindern. Und dann schüttelt sie den Sack aus und viele viele Päckchen purzeln herunter.
Das beste Weihnachtsgeschenk der Welt
Die Leni lacht und zieht den Hund am Ohr, flüstert: Altes Schlitzohr!
Es sind Freudentränen
Dann sucht sie ihre Mama und findet sie schluchzend in einer Ecke. Der Brief ist vom Papa, sagt sie unter Tränen, aber Freudentränen sind das ausnahmsweise. Er hätt heimlich weiter gemalt und jetzt hätt jemand glatt zwei Bilder gekauft für viel Geld.
Das liegt für sie daheim, und er wär auf dem Weg in eine Klinik, und wenn sie ihm dort helfen, gesund zu werden und es ihnen recht ist, kommt er wieder heim.
Heiliger Strohsack, schreit die Leni, das ist das allergrösste und beste Weihnachtsgeschenk der Welt!
Sie drückt ihre Mama fest an sich und springt dann mit einem fröhlichen Hupferer mitten unter die Kinder.
*Stiegnglander ist der bayerische Ausdruck für Straßenköter, Findelhund
Was sagen Sie dazu?