Wenn die Wurzeln tief sind, braucht man den Wind nicht zu fürchten.“ Dieses chinesische Sprichwort stellt die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Heika Eidenschink ihrer Webseite voran.
Heika Eidenschink, Jahrgang 1962, eröffnet nach dem Studium der Psychologie 1987 eine eigene psychotherapeutische Praxis in München. Ein Schwerpunkt ihrer therapeutischen Arbeit ist seit ein paar Jahren das Coaching, und ich durfte, in einer schwierigen Phase meines Lebens, selbst erfahren, wie Heika mit ihrer sensiblen und zugleich lebensbejahenden und herzlichen Art Lernprozesse und neue persönliche Entwicklungen in Gang setzt.
Als wir sie baten, uns im Rahmen eines Video-Interviews für eigenleben.jetzt Fragen zur psychischen Befindlichkeit älterer Menschen zu beantworten, war sie gleich dazu bereit. Wir haben sie an einem frühlingshaften Sonntag in Pöcking am Starnberger See besucht, wo sie wohnt und seit 2016 eine zweite Praxis betreibt.
Nachdem wir Kaffee und köstlichen, von ihrem Mann selbst gebackenen Kuchen serviert bekommen hatten, führte uns Heika in ihren freundlichen, hellen Praxisraum mit schönem Blick auf die umliegenden Häuser und Gärten.
Ich muss erstmal gar nichts
Was sie uns dann zu den psychischen Anforderungen, aber auch Möglichkeiten des Ruhestands zu sagen hatte, hat speziell mich, als die Älteste im Team, sehr angesprochen und ermutigt. Sie sprach mir aus der Seele, wie wahrscheinlich vielen Leser*innen in meinem Alter.
Hier ist alles, was Heika Eidenschink im Video sagt:
»Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir an dieses ‚in Ordnung sein‘ ganz viele Wenns knüpfen: ‚ich bin in Ordnung, wenn …‘. Gerade beim Übergang in ein ‚Raus aus dem Berufsleben, rein in den Ruhestand‘ hilft es Menschen sehr, wenn sie diese Wenns loslassen können: ‚Ich bin in Ordnung, so wie ich bin, und ich muss erstmal gar nichts.‘
Und ich entdecke eine unmittelbarere Art des Daseins im Leben und finde wieder dahin, zu merken, wie erfüllend das ist. Zum Beispiel, dazusitzen und einfach mal … vielleicht die Wolken anzuschauen oder den Duft der Blumen intensiver wahrzunehmen.
Das sind oft sehr unterschätzte Lebensqualitäten.“
Coaching kann auch für ältere Menschen eine passende Maßnahme sein
„Es gibt aber viele Themen, wo Menschen sich auch professionelle Hilfe suchen. Das sind zum Beispiel Themen, wo sie merken, sie kommen innerlich immer wieder an den gleichen Punkt. Sie drehen sich mit bestimmten Fragestellungen im Kreis und kommen da nicht wirklich raus.
Ich denke, die meisten Menschen haben ein paar solche Themen, wo sie stärker stagnieren, als sie sich das wünschen.
Das kann man natürlich akzeptieren, kann sagen, das ist einfach Teil meines Lebens und meiner Persönlichkeit. Aber je mehr auch über Coaching bekannt wird, desto mehr Menschen kriegen auch mit, dass wir vieles nicht so hinnehmen müssen. Sondern dass es schon auch für ältere Menschen Möglichkeiten gibt, aus Verhaltensmustern oder auch Erlebnisweisen, die wir als einschränkend empfinden, wirklich Schritte heraus zu tun. Und in diesem Fall kann Coaching auch für ältere Menschen eine sehr passende Maßnahme sein.“
Es ist sehr befriedigend, gelassener werden zu können
„Wenn wir uns die Frage anschauen: ‚was gibt meinem Leben Sinn?‘, dann impliziert das ja, dass wir diesem Leben Sinn geben müssen.
Natürlich kann es für Menschen, die sehr viel Einsamkeit und Sinnlosigkeit empfinden, wichtig sein, ganz pragmatisch wieder aus dem Haus zu gehen. Aus der Wohnung zu gehen und sich anderen anzuschließen, und auch mit anderen gemeinsam zu überlegen: was tun wir jetzt, was gibt unserem Leben Sinn?
Ich glaube trotzdem, dass das Erleben von Sinn letztlich eine Frage der inneren Haltung ist.
Genauso, wie das Erleben von Einsamkeit eine Frage der inneren Haltung ist.
Für mich ist eher relevant, wie sehr jemand in so eine innere Balance findet. Was auch viel mit dem Thema Gelassenheit zu tun hat. Also auch Dinge loszulassen, um die wir vielleicht lange im Leben gekämpft haben. Es ist sehr befriedigend, gelassener werden zu können. Und da sind die späteren Lebensabschnitte sogar prädestiniert dafür, weil es dann ja tatsächlich viel um Loslassen geht.“
Ältere Menschen haben etwas anzubieten
„Ältere Menschen haben sehr viel kumulierte Bewältigungserfahrung und haben von daher was anzubieten.
Aber dadurch, dass sie sehen, dass junge Menschen viel schneller am Computer sind oder vielleicht mehr Fremdsprachen sprechen können als sie oder wie auch immer, wissen ältere Menschen, glaube ich, oft das, was sie eigentlich anzubieten haben, gar nicht zu schätzen. Weil sie die falschen Vergleiche ziehen.
Ich denke, dass ‚eigenleben‘ auch mit dazu beitragen kann, wirklich den Wert in diesem Lebensabschnitt zu erkennen.“
Den Älteren werden von den Jüngeren Normen übergestülpt
„Da ist ein – für mich – ganz absurdes Beispiel: es gab so eine Serie im ZDF ‚Mit 80 Jahren um die Welt‘. Und wir sehen ja bei jungen Menschen heute, dass die viel in alle Länder dieser Welt reisen, und das mag ja auch seine Berechtigung haben.
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Aber es ist auch eine Norm, die so entstanden ist. Als ob ein Leben dadurch sinnvoll wird, dass ich alle Kontinente dieser Erde bereise.
Und wenn man dann meint, auch 80-jährige genau damit beglücken zu müssen, dass man ihnen so eine Fernreise ermöglicht, dann fürchte ich, dass wir da Normen einer jüngeren Generation Älteren überstülpen und den Älteren erzählen: ‚Ihr müsst doch mal …‘, ‚Was, ihr habt noch nicht das gesehen und ihr habt noch das nicht gesehen, da müsst ihr jetzt aber mal nachholen!‘
Das ist dann sehr norm-orientiert: Heute gehört Reisen dazu, Fernreisen gehören dazu, also müssen die Älteren das auch tun.“
Weniger brauchen und trotzdem erfüllt leben können
„Für mich hat aber dieser Lebensabschnitt wirklich eine ganz, ganz andere Qualität: Und zwar die des weniger Brauchens und trotzdem erfüllt leben zu können.
Von dem amerikanischen Schriftsteller und Philosophen Henry David Thoreau gibt es das Zitat: ‚Man erkennt den Reichtum eines Menschen daran, auf wieviel er verzichten kann, ohne die gute Laune zu verlieren.’«
Ein besseres Schlusswort als dieses kann es zu unserem Thema nicht geben!
Was sagen Sie dazu?