Ich brauche Abstand und dir kann er auch nicht schaden. Dont’call me, I call you, ich melde mich bald wieder, M. – „Bald“, interessant wie subjektives Zeitempfinden doch divergieren kann, die SMS war jetzt eine Woche alt…
Es ist schon interessant, was alles an Zeitdokumenten auftauchen kann, wenn man sich endlich wirklich daran macht, sein Arbeitszimmer radikal umzustülpen und zu entrümpeln. Ich habe dabei gar einiges neu entdeckt, wie z.B. jene ca. 80 kopierten Seiten, die mich in einem alten Ordner kumpelhaft anglotzten als wären sie froh, mal wieder frische Luft zu schnappen nach soo vielen Jahren.
Es waren komplizierte Gründe, warum ich damals circa zwei Wochen lang wie besessen quasi Tag und Nacht am Computer saß, um einen Roman zu schreiben (aus dem das obige Zitat stammt). Ein Krimi sollte es werden, und – so die Hybris – kein „normaler“ Krimi, sondern einer, der ironisch mit dem Genre spielt, verwoben wird mit einer komplizierten Beziehungsgeschichte und dann noch mit München-kritischem Lokalkolorit. Und, das war mir damals wichtig: kein Frauendings, der Held musste ein junger Mann sein. Einer – mit einer mir nicht ganz fremden Wunsch-Performance – reflektiert, widerborstig aber sehr sensibel!, na klar.
Es war bereits sechs Uhr morgens und draußen wurde es schon heller. Baxter hörte Vögel pfeifen und wunderte sich, dass die bereits aktiv waren. War das normal für die Jahreszeit? Er war hundemüde, hatte aber noch immer keine Lust auf das große, leere Bett, das im Schlafzimmer auf ihn wartete. Er legte ich auf’s Sofa und schenkte sich den Rotwein nach.
Die Vögel pfiffen immer penetranter und flogen auf eine Dachterrasse, die aussah wie der Markusplatz in Venedig. Martina warf aus einer Tüte Körner in die Luft und lachte. Da kam dieser schmierige Typ in der Lederjacke und umarmte sie, und die beiden liefen als immer kleiner werdende Punkte in einen Park und verschwanden zwischen den Bäumen. Baxter rannte hinter ihnen her, er ballerte mit einem Jagdgewehr auf die Lederjacke, die ihm aber aus dem Blickfeld geriet. Aus sämtlichen Baumkronen stoben Schwärme von Vögeln und machten seltsame Geräusche.
Er schreckte hoch und sah die Bescherung, auf dem Couchtisch ein umgekipptes Weinglas, daneben eine ausgelaufene Weinflasche. Er kam sich unsäglich verloren vor und er tat sich unsäglich leid. Aber gleichzeitig fand er die Szenerie in ihrer Klischeehaftigkeit fast schon lustig: „Verlassener, eifersüchtiger Mann besäuft sich und träumt vom Vögeln“, – so weit reichte seine Küchenpsychologie für Traumdeutung noch aus… (Soviel zu Seite 20)
Tja, was soll man da noch sagen. Meine heutige Küchenpsychologie beruft sich im Wesentlichen auf die von damals, die ja auch da schon mit schlichten Erkenntnissen operierte. Heißt: mein Alter-Ego-Baxter war echt nicht blöd, entwickelte sich aber ziemlich grenzwertig bescheuert, wie’s passieren kann, wenn man/Mann/Frau eifersüchtig, verzweifelt, narzisstisch-gekränkt oder was auch immer wird. Aber wie’s dramatisch-dramaturgisch letzlich weiter ging, weiß man nicht. Die fiktionale Erzählung fand kein Ende, die reale Geschichte der Autorin ging natürlich weiter, neu, erlebnisreich und völlig unkriminell. Trotzdem, nach dem Lesen dieser alten Story, über die in jedweder Hinsicht kräftiges grünes Gras wuchs, fand ich, dass ein womöglich mörderisches Showdown (oh oh, der arme Antagonist) schon was gehabt hätte. Fände ich heute, nach dem großen Abstand, in meiner reaktivierten Fantasie eigentlich witzig – was für den Arzt, Apotheker, Psychoanalytiker? Auf jeden Fall: un-ter-ste Schublade. Genau.
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