Ich hatte bereits vor ein paar Jahren von diesem Projekt gehört und selbst dort schon Kuchen für eine Veranstaltung in unserer Firma gekauft. Dass ich einmal Gelegenheit haben würde, einen Artikel über diese tolle Idee zu verfassen, habe ich damals nicht geahnt.
Umso mehr habe ich mich gefreut, als sich das Kuchentratsch-Team bereit erklärte, dass wir gern vorbei kommen, Fotos machen und mit den Back-Omas und Back-Opas reden dürften. Wir, das sind Anne, Helmut Müller, der diesmal die Rolle des Fotografen übernehmen wollte, und ich, treffen uns also am 13. März in der Kuchentratsch-Zentrale in der Landsbergerstraße in München.
Als wir die unscheinbare Tür zu der versteckt in einem Hinterhof liegenden Backstube aufmachen, können wir uns ein glückliches Mmhhhh nicht verkneifen – es riecht hier einfach zu köstlich!
Hinter einem kleinen Vorraum mit Theke, wo sich in Glasvitrinen diverse Kuchen und Torten präsentieren, öffnet sich der Backraum mit den fleißigen Damen und Herren, alle mit Kuchentratsch-Schürze angetan und einem individuellen Tuch oder Hütchen auf dem Kopf.
Es begrüßt uns Theresa O., eine der freundlichen Mitarbeiterinnen vom Büro-Team, die für Interviewfragen, Foto- und Filmaufnahmen zuständig ist.
Theresa O. (es gibt noch eine Theresa M. im Team) überreicht uns blaue Plastiküberzieher, die wir aus Hygienegründen über unsere Schuhe streifen sollen. Die fröhliche junge Frau stellt uns der Runde vor. Die backenden alten Herrschaften sind wenig beeindruckt: sie sind Medienrummel gewohnt, seit der Laden brummt, gab es schon jede Menge Interviews, Radio- und Fernsehbeiträge. Entsprechend werden wir mit freundlichem Interesse kurz gemustert, dann wird weiter gerührt, gewogen, geschnippelt und und gehackt.
Wie kam es zur Kuchentratsch-Idee?
Theresa versorgt uns zunächst mit einigen Grundinformationen: Gegründet wurde das Start Up Kuchentratsch 2014 von der damaligen Studentin der Betriebswirtschaft Katharina Mayer, die fand, dass man nirgends in der Stadt so leckeren Kuchen kaufen konnte, wie sie ihn von ihrer Oma kannte.
Die Idee, für leidenschaftliche BäckerInnen im Rentenalter eine Anlaufstelle zu schaffen, wo sie sich treffen und miteinander backen und ratschen können, kam gut an. Die erste Oma, die mitmachte, war ihre eigene. Andere stießen bald dazu, und inzwischen gibt es eine Warteliste von Omas und Opas, die auch gern dabei wären. Einzige Voraussetzung fürs Mitmachen: man muss Rentner sein. Und natürlich gern backen.
Es hat sich schnell herumgesprochen, dass man hier Gleichgesinnte treffen, seiner Leidenschaft frönen und zugleich eine schmale Rente aufbessern kann.
Das Unternehmen ist inzwischen so groß geworden, dass der aktuelle Raum mit seinen fünf Backplätzen nicht mehr ausreicht und eine neue Lösung mit mehr Platz her muss. Fünf BäckerInnen gleichzeitig sind im Moment möglich. Dreimal die Woche wird gebacken, von 9 bis 13 Uhr. Jeder hat einmal in der Woche Schicht.
Wenn Großaufträge von Firmen oder für Familienfeiern vorliegen oder Feste wie Weihnachten anstehen, müssen die Omas und Opas öfter ran. Und wenn es gelingt, größere Räume zu finden, können auch die Anwärter auf der Warteliste zum Zuge kommen.
Mehr Backwillige als Backplätze
Der Backplan legt fest, wer welchen Kuchen backt. Ein Mitglied des Büroteams, das die Backleitung hat, ist jeweils für den Ablauf zuständig.
Wenn die zwölf professionellen Backöfen nicht ausreichen, muss eine zweite Schicht her.
Die fertigen Kuchen werden von AssistentInnen verziert und verpackt und mit der Post deutschlandweit versandt. Innerhalb von München und näherer Umgebung werden wie bestellten Kuchen von den Liefer-Opas ausgefahren.
Nun wissen wir schon eine Menge, wie es hier bei Kuchentratsch abläuft. Jetzt wollen wir noch die für heute eingeteilten Back-Omas und den einzigen anwesenden Back-Opa persönlich befragen. Durchweg alle bestätigen, dass es großen Spaß macht, dabei zu sein. Dass sie es genießen, in einer Gruppe Gleichgesinnter etwas zu tun, was sie schon immer gern getan haben.
Oma Helga sagt: „Ich backe sehr gerne, habe aber keine große Familie, die essen nicht so viel Kuchen. Hier kann ich mich endlich austoben. Und alle sind sehr nett, die jungen Leute vom Team und die Kollegen-Omas. Wenn viel zu tun ist, ist es manchmal etwas hektisch, aber normalerweise haben wir immer auch Zeit zum Plaudern. Und es gibt inzwischen Stammtische, wo wir uns außerdem manchmal treffen.“
Opa Günther (79) ist heute der einzige Back-Opa (es gibt zwei). Er hat in der Zeitung von Kuchentratsch gelesen, und weil auch er hat immer schon gern gebacken hat, hat er sich gedacht, das sei doch eine schöne Abwechslung, einmal in der Woche hierher zu kommen und mit anderen zu backen.
Von seiner Frau, die vor zehn Jahren verstorben ist, hat er diverse Kniffe gelernt. Heute backt er vor allem für seine Enkel. Und natürlich für sich selbst. Jeden Tag isst er zuhause seinen Kuchen. Dort probiert er dann auch eigene neue Kreationen aus. Der Rote Beete-Schoko-Guglhupf, den er heute hier backt, ist allerdings ein Rezept von Oma Liane.
Es stört ihn nicht, dass er der einzige Mann unter lauter Frauen ist: „Ich hab auch einen Malkurs gemacht, und dort war ich auch der einzige Mann. Und außerdem (er zwinkert mir verschwörerisch zu) muss ja jemand bei den vielen Frauen für Zucht und Ordnung sorgen!“
Rote Beete-Schoko, Bratapfel-Vanillecreme und Irmgards Karotte
Neben Opa Günther bestreicht Oma Rosemarie ihren Bratapfelkuchen mit einer Vanillecreme. Sie kommt aus der Nähe von Augsburg hierher – für sie eine wunderbare Gelegenheit, wenigstens einmal die Woche in ihre geliebte Heimatstadt München zu fahren. Sie hat vor eineinhalb Jahren über den Verein „Zeitbörse“ von Kuchentratsch erfahren: „Das war meine beste Entscheidung!“
Oma Rosemarie war früher Zugführer bei der Bundesbahn. „Nicht Lokführer!“, betont sie. Es war ein ganz und gar technischer Beruf. Sie musste Bremswege berechnen, rangieren, Züge aneinander koppeln … „Mein Traumberuf! In ganz Deutschland gab es nur zehn Frauen, die das gemacht haben.“
Seit ihre Familie ausgeflogen ist, backt sie hier „ …es macht großen Spaß! Wir sind ein super Team, man fühlt sich wie in einer Familie. Und wir treffen uns auch sonst und verstehen uns alle sehr gut.“ Man sieht ihr nicht an, dass sie 79 ist und damit eine der Ältesten: „Unsere Älteste ist schon 80! Wenn man aktiv ist, bleibt man jung!“
Es fällt mir auf, dass außer Oma Rosemarie, der Zugführerin, und Opa Günther, der früher Omnibusse gebaut hat, alle, die heute hier backen, früher in Büros gearbeitet haben, als Chefassistentin, Versicherungskauffrau, Systemadministratorin.
So auch Oma Hanni, die demnächst 80 wird, hier aber noch als „jung“ gilt, weil sie erst seit acht Monaten dabei ist. Auch für sie bedeutet das Backen hier einen willkommenen Ausgleich für das frühere Büroleben. Sie hat über ihren Enkel von Kuchentratsch gehört. Und auch sie ist gerne hier, weil sie mit Gleichaltrigen zusammen sein kann, die die gleiche Leidenschaft mit ihr teilen. Aber einmal in der Woche herzukommen reicht ihr, weil sie noch so viele andere Sachen macht. „Wer rastet, der rostet!“ sagt sie. Und wenn sie mal in einem Münchner Café Oma-Kuchen im Angebot sieht, freut sie sich: „Juhu, das ist unserer!“
Wie alle anderen ist sie glücklich, jetzt etwas mit den Händen machen zu können: „Das ist sehr befriedigend. Und man hat ein direktes Erfolgserlebnis!“
Zu guter Letzt sprechen wir noch kurz mit Oma Kate, die vor 20 Jahren aus Irland nach München gekommen ist. Die fröhliche alte Dame ist seit eineinhalb Jahren Back-Oma, und auch sie ist hier ganz in ihrem Element. Sie schwärmt uns von diversen Rezepten vor „Oh, die waren sooo gut!“ Und sie streich sich genüsslich über den Bauch. „Gut, dass man hier nicht naschen darf. Man hat ja auch gar keine Zeit dafür! Nur wenn etwas schief geht oder wenn etwas übrig ist, essen wir es auf. Es sind ja alles Bestellungen, und die müssen fertig werden. Und wir bleiben so lang, bis alles fertig ist!“
Was sagen Sie dazu?