6. März
Die ersten Tage habe ich fast gar nichts gekauft. Das Hundefutter ist in Alu oder Blech abgefüllt, beim Metzger in Plastik. Im unserem Foodsharing-Schrank im Einewelthaus finden sich oft Salate, Joghurt, Aufstriche und alles Mögliche in Plastik abgepackt, auch die Bio-Produkte. Darf man das nehmen? Es ist ja quasi schon „erlegt“. Nudeln, Reis, tiefgefrorenes Gemüse, Tofu, Obst, Käse und Salat – alles steckt in Plastikverpackung. Putzmittel mit und ohne Refill auch. O je, die Palette der Kosmetika: ein Graus! Heute habe ich Haarfarbe gekauft, Plastik und Alu und Chemie, schrecklich! Gibt es auch eine Erfolgsmeldung? Mehrfach habe ich Tulpensträuße erworben und die Folie im Laden gelassen. Das ist aber schon alles.
Eine der großen Sünden der Gegenwart: das Kaufen und Benutzen von Plastik
Seit langem schleppe ich Woche für Woche dicke Tüten mit Verpackungen zu den Containern. So sehr ich mich bemühe, die Tüten werden nicht weniger. Es beschämt mich, dass ich so hirnlos einkaufe. Ich würde mich ja verstehen, wenn ich mir null Gedanken über Verpackungsmüll mache. Aber ich lese und belehre (andere!), diskutiere das Thema und dann zieh ich los und komm wieder mit Bergen von Plastik heim. Was ist los mit mir? Bin ich gestört?
Dabei will ich nicht, dass die Tiere im Meer an Plastik verrecken, dass es weltweit Landschaften verschandelt und beim Verbrennen alles vergiftet. Dass Meere, Tiere und Menschen an Plastik ersticken. Trotzdem verhalte ich mich so.
Was ich noch dazu sagen muss: Ganz in meiner Nähe hat ein „Unverpackt“-Laden aufgemacht, vor zwei Jahren bereits. Ein paar Mal war ich dort, ich habe mir alles angeguckt und war leicht schockiert von den Preisen. Ich hab nachgefragt, warum das „Unverpackte“ so viel mehr kostet? Die Geschäftsführerin hat mir erklärt, dass es ihnen um weitere Faktoren geht, dass sie nur Waren nehmen, die biologisch, regional und fair hergestellt werden – und das hat seinen Preis. Logisch.
Das andere Mal habe ich den Verkäufer gebeten, mir in etwa einen Kostenvoranschlag zu machen, wenn ich alle Basis-Produkte bei ihnen statt im Super- oder Drogeriemarkt kaufe? Er hat mich nicht besonders interessiert informiert und gemeint, die Preise stünden doch überall, ich müsste sie halt nur addieren. Stimmt.
Bis hierhin und nicht weiter bin ich bis jetzt gekommen, also ich habe mich kaum vom Fleck bewegt.
Jeder Einkauf ist eine Bürde geworden, zwingt mich ständig zum Nachdenken und Abwägen. Aber ich hangle mich vor allem von einem faulen Kompromiss zum nächsten in allen wichtigen Fragen: ohne Plastik, regional, biologisch, fair. O je.
20. März
In der letzten Zeit habe ich nur das Nötigste gekauft oder – wenn nötig – die Zutaten für ein Essen mit Gästen und da habe ich geschaut, dass ich so gut wie alles offen nehme. Langsam gehen viele Utensilien aus, ich warte solange es geht etwas Neues zu besorgen. Lieber benütze ich erstmal noch die letzten kleinen Reste, Tuben, Cremetöpfchen etc.
Ich drücke mich an dem Unverpackt-Laden ›› vorbei: zweimal habe ich Anlauf genommen, mich noch einmal beraten zu lassen. Es ist schlimmer als früher vor dem Beichtstuhl. Oder so ähnlich.
Ehrlich gesagt, wenn man sehr reich wäre oder einfach ein gutes regelmäßiges Einkommen hätte, wäre das kein Thema. Aber so, wie lös ich das Problem? Letztlich lande ich immer wieder im Netto drei Häuser weiter, einer Bruchbude mit gestresstem, unterbezahltem und -besetztem Personal und gestresstem Fleisch von geschundenen Tieren und allerlei miserablen Produkten.
Wieviel Plastik konsumieren wir Frauen?
Vor vielen Jahren habe ich mal eine Geschichte geschrieben „Was kostet es, eine Frau zu sein?“ Damals ging es darum, was all die speziell „weiblichen“ Artikel kosten, wie Tampons, Binden, Strumpfhosen, Pillen, Enthaarungscremes, Verhütungsmittel, Kosmetika für jeden Körperteil, Haarfarben, Frisörbesuche, Dessous und so, die kein Mann zu zahlen hat, es sei denn, er ist trans oder zahlt für eine Frau. Wobei noch hinzu kommt, dass die wenigen „männlichen“ Artikel etwa ein Drittel günstiger sind.
Im vorliegenden Fall geht es nicht mehr um diese Kategorien. Haben Sie schon mal versucht nachzurechnen, wie viele leere Cremetöpfchen, Gesichts- und Bodylotion-Flaschen, Zahncremetuben, Nagellackentferner, Sonnenschutz-Sprays, Deodorants etc. sowie die ganze Armada von Putz-, Wasch- und Lebensmittelverpackungen Sie in Ihrem bisherigen Leben einfach so in die Tonne gekippt haben? Auch wenn es Container-Tonnen waren. Und wie Sie dann gedankenlos das nächste Trumm gekauft haben in x-fach Plastikverpackung oder aus Plastik oder mit Plastikpartikeln innen drinnen?
Anstatt immer wieder den jeweiligen Behälter auszuwaschen und im jeweiligen Laden auffüllen zu lassen? So wie das damals in der sonst gar nicht so „guten alten Zeit“ eigentlich üblich war.
Auf Youtube findet man manchmal ein Video, wo eine alte Dame an der Kasse um eine Plastiktüte bittet. Der junge Mann hinter ihr empört sich über diese Schandtat. Sie dreht sich um und legt dann los: Dass man früher alles offen oder in mitgebrachten Behältern gekauft hat, dass man immer eine Stofftasche dabei hatte, dass es nicht von jedem Produkt 300 verschiedene Anbieter gab, dass kaum chemische, giftige und überzuckerte Produkte angeboten wurden, dass man statt x Wasch- und Spülmitteln mit Soda, Essig und Kernseife auskam, dass Kaufläden noch Orte der Begegnung waren und man da gescheit mit den Nachbarn ratschen konnte und dass es nicht solche kalten, automatisierten, neonlichtbestrahlten, unpersönlichen Konsumtempel waren, wo man nur gescanned wurde. Und Sie mit Ihrem Iphone und den vielen Elektrogeräten daheim, die so viel Energie verschlingen, wollen mich wegen einer Plastiktüte maßregeln – da lach ich doch!
„Einkaufen macht glücklich“ – ich weiß nicht …
Dann nimmt das Unheil weiter seinen Lauf. Selbst wenn der Supermarkt oder auch der Feinkostladen unverpackte Sachen verkauft – woher weiß man eigentlich, wie gefährlich, giftig, belastet, kontaminiert sie hergestellt wurden?
Wie quälerisch, leidvoll, brutal unmenschlich und mörderisch der Prozess war, wenn es sich um Tiere handelt? Wie kann ich das Elend der Tiere rechtfertigen, die für mein Stück leidverseuchtes Fleisch sterben mussten?
Und wenn ich nicht die Augen verschließen will, kann ich mir auch überlegen, unter welch grausamen Umständen und zu welchen Schleuderpreisen weltweit Menschen bei der Herstellung unserer günstigen Lebensmittel, Kleidung und Geräte etc. gelitten haben und gestorben sind.
Weil all diese Schreckensszenarien in meinem Kopf rotieren, will ich nicht „normal“ einkaufen und „gut“ einkaufen kann ich nicht. Oder nur bedingt. Was tun?
30. März
Gestern war ich mit drei Leuten zusammen, die Hartz 4 beziehen. Sie waren noch nie in einem Supermarkt und kaufen nur in Bio-Läden u.ä. Weil wir uns noch bei mir treffen wollten, hatte ich sie gebeten, mir einen Wein für ca. drei Euro mitzubringen. Das nackte Entsetzen sprang mich aus ihren Augen an, niemals würden sie so etwas mitmachen!
Es hängt also nicht nur vom Budget ab, sondern vor allem vom Willen/Wollen. Die Frau sagt: Ich lass mich auf keinen Fall auf diesen Schrott der Konzerne ein, das hab ich mir geschworen. Der Mann sagt: „Ich kaufe nur in Bio-Fairtrade-Läden ein, ich war seit Ewigkeiten nirgends anders. Mit und trotz Hartz 4 bleiben etwa 130 Euro für Lebenshaltung“. Ich schäme mich. Ich bin Sleepy, der Aal, ich laviere mich durch, mogle, schwindle, versuche mich durch zu schummeln. Ein sehr verbreitetes Untier.
Das Thema faire Löhne fällt da schon mal gleich unter die Ladentheke. Das von Pestiziden & Co. ebenso oder es bleibt fraglich. Bio auch fraglich. Verpackung geht so, wenn ich mich bemühe. Manchmal bemerke ich nicht einmal, was wie verpackt ist. Bücher und CDs in Folie geschweißt.
Die einen sind zum Fressen da, die anderen zum Verhätscheln
Hundefutter, ein doppeltes Dilemma: Jeden Tag gebe ich meinem Tier andere zerhackte Tiere zum Fressen. Der Haus-Hund steht in der Rangordnung über den zerstückelten Tieren, die einen sind zum Fressen da, die anderen zum Verhätscheln. Und noch dazu ist alles und jedes Lieblingstier-Futter in massenhaft Plastik verpackt. Jede Woche trage ich eine grosse Tüte mit Hundefutter-Dosen und Plastikmüll zum Container. Ich schäme mich, mach aber weiter.
Das Thema Geräte lasse ich außer acht – natürlich ein Katastrophales.
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Nicht mal in Sachen Mode zeigt sich ein Lichtblick. Ich liebe Mode und, ehrlich gesagt, nicht unbedingt die Qualitäts-Klamotten von Natur, Hesse o.ä. Die teure ist ja auch nicht unbedingt besser, sie lassen auch in Drittweltländern nähen, Stoffe herstellen, Tierhaut verarbeiten und alles billigst produzieren. Es sei denn, es handelt sich um dezidierte Öko-Firmen. Ein Designer wie Issey Miyake ›› in Tokio lässt z.B. viele seiner tollen Stoffe aus recycelten PET-Flaschen herstellen. Wie gut die Näher*innen dann bezahlt werden, weiß ich nicht. Nicht nur Miyake experimentiert mit Recycling-Materialien, viele kleine Label arbeiten damit.
Einer meiner wenigen Pluspunkte auf der Skala meiner Sündenliste: Ich liebe gebrauchte Sachen und nehme sehr gern auch das, was in Säcken auf der Straße abgelegt wird. Das sind Wundertüten voller Überraschungen, mal scheußlich, mal wundervoll. Für diese guten Stücke musste niemand mehr schuften, wurde keiner getötet, es hat keine Energie mehr gekostet. Satt dessen wären sie sonst auf dem Müll gelandet.
Apropos, 18 Milliarden Tonnen Müll macht Deutschland und 11 Milliarden Tonnen vernichtete Lebensmittel.
16. April
Jetzt ist die Fastenzeit fast vorbei, ich bin nicht gerade weit mit meinem Vorhaben gekommen, das unter dem Motto von rehab republic ›› „Plastik kaufen – BUH, Plastik fasten – YEAH!“ in ganz München ausgerufen war.
Manche Leute sind hoch aktiv, gründen Refill- und Einmal ohne-Läden, organisieren Workshops, wo man lernen kann Kosmetika, Putzmittel o.ä. selber zu fabrizieren, im OHNEVerpackung-Laden in der Schellingstraße starten Lesungen zur Unterstützung von willigen, plastikfreien Menschen, z.B. die Zero Waste-Küche. Gestern habe ich mir endlich die Produkte und Preise angeguckt, das ist kaum zu schaffen. Am ehesten noch die Wasch- und Putzmittel.
Doris Dörrie, die Regisseurin, lädt gerade zu einer Aktion ein, bei der man gemeinsam einen riesigen Plastikteppich häkelt, der dann vor der HFF ›› ausgelegt wird.
Das beste Projekt lebt meines Erachtens die riesengroße Stadt Mumbai (20 Millionen Leute) vor. Der Stadtrat hat dort vor einiger Zeit jede Art von Plastiktüten oder Verpackungen einfach verboten. Plastik-Kontrolleure besuchen täglich Märkte, Buden, Läden, Supermärkte und Kaufhäuser und werfen einen Blick hinter und unter die Ladentheken, in die Regale und versteckten Winkel. Wer mit Plastiktüten oder Ähnlichem erwischt wird, muss 62 Euro Strafe zahlen, sehr viel Geld für viele Geschäftsleute. Diese Lösung, weiter geführt bei Plastik in jeder Form, gefällt mir am Besten, gemischt mit gemeinsamen Aufräum-Aktion in den Straßen.
Eine Stadt in Ägypten am Meer gelegen, aus dem man fast nur noch Plastik fischen konnte, hat sich dem Plan angeschlossen. Da schau her, es geht doch …
Und ich? Vorhin habe ich Crème Fraîche und Parmesan in Plastik gekauft – der Weg ist noch weit.
Anne schreibt
Ein interessanter Podcast zum Thema „Unverpackt einkaufen“: https://startnext.podigee.io/4-fuell