Wenn das kein „Eigenleben“ ist! Auch wenn es im Film natürlich fiktive Figuren sind – Vater und Sohn stehen im Mittelpunkt – steckt doch eine Menge eigen-erlebte Geschichte drin. Die Familie Bierbichler betreibt seit Generationen eine Wirtschaft, früher auch einen Bauernhof, in Ambach am Starnberger See, seit dem 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel für die Städter. Gedreht wurde „Zwei Herren im Anzug“ dort aber nicht.
Schon der (erfolgreiche und unbedingt lesenswerte) Roman „Mittelreich“ ist biografisch inspiriert. Dass der Film jetzt einen anderen Titel trägt, hat laut Bierbichler, Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion, damit zu tun, dass nur Teile des Romans in den Film eingehen konnten. Vielleicht hätte der Stoff auch eine gute Serie abgegeben.
Monolith in Doppelrolle
Bierbichler, der Theaterklotz (im positivsten Sinne!) und markante Charakterdarsteller, bekannt aus Filmen wie „Winterschläfer“, „Winterreise“ oder „Im Winter ein Jahr“, inszeniert sich selbst in einer Doppelrolle: Er spielt die Hauptfigur, den Seewirt Pankraz, und dessen Vater. Den Rahmen des Films bilden Pankraz’ Gespräche mit seinem Sohn (Simon Donatz, auch im echten Leben Bierbichlers Sohn) in der Wirtsstube. Nach der Beerdigung der Frau und Mutter (sehr gut: Martina Gedeck als Theres) sitzen Pankraz und Semi, zwei einander entfremdete Seelen, bei Bier und Schnaps zusammen. Der Vater will reden, über die Vergangenheit und vielleicht auch über die Zukunft.
In Rückblenden entfaltet sich dazwischen ein Generationenporträt und ein Gesellschaftsbild, von 1914 bis 1984. Angefangen mit dem enthusiastischen Abmarsch von Pankraz’ großem Bruder in den Ersten Weltkrieg über seinen eigenen Einzug an die Ostfront im Zweiten, die Einquartierungen zuhause bis in die Gegenwart, die der Vater nicht mehr versteht und der Sohn verachtet – ein epischer Handlungsfaden. Aus dem Krieg kehrt der ältere Bruder mit einem Kopfschuss zurück, der ihn zum Wrack macht und die Zukunft des Seewirts bestimmt: Pankraz, der eine Leidenschaft für die Oper hat und eigentlich Sänger werden wollte, muss die Wirtschaft übernehmen. Zum Hausstand gehören auch zwei griesgrämige unverheiratete Schwestern (Irm Hermann, Sarah Camp), die durchgebracht sein wollen und die junge Theres nach Herzenslust drangsalieren, ebenso wie die alte Magd Mare. Knechte kommen und bringen die neue Zeit in Form von Motorrad und Fernseher mit. Pankraz wird immer verbitterter, die Sorgen um Haus, Hof und Besitz nagen an ihm, in Theres findet er nicht die Gefährtin, die er sich gewünscht hat. Zum Sohn konnte er nie eine Beziehung aufbauen – schon der Säugling brachte ihn buchstäblich zum Kotzen.
Am gelungensten, weil authentischsten sind die Szenen aus Pankraz’ Leben – was natürlich auch an Bierbichlers phänomenaler Präsenz liegt. Sie erzählen unaufdringlich und eindrucksvoll auch von einem vergangenen bäuerlichen Leben, von dörflichen Strukturen und Heimat.
Das schwere Erbe
Der zweite Teil des Films erzählt die Geschichte aus der Sicht des Sohnes. Dieser Part ist sperriger, abgehobener, gewalttätiger. Hier spürt man die ohnehin langen 139 Minuten. Semi wird im katholischen Internat missbraucht, entwickelt eine obsessive Liebe zur Mutter – aus Mangel an Vater. Den verfolgt ein Leben lang die Erinnerung an ein schreckliches Kriegsverbrechen, die er zu verdrängen versucht. Aber die Zeugen, jene beiden titelgebenden Herren im Anzug, tauchen immer wieder in auf … Es geht eben auch um die Aufarbeitung von Nazi-Vergangenheit. „Ich war zwar nie ein Nazi, aber kein Nazi war ich nie“ lautet ein Ausspruch von Josef Bierbichlers Vater, der in den Film einging.
Musik wird gezielt und wohldosiert eingesetzt, Wagner oder die bayerische Band Kofelgschroa, die eine wilde Faschingsnacht untermalen, die in einem verheerenden Sturm mündet – eine Schlüsselszene. „Zwei Herren im Anzug“ hat ein erzählerisch und visuell mutiges, gewaltiges Konzept, mit dem sich der Regisseur manchmal überhebt – Opern-Pathos, Theaterdonner, Anklänge an Groteske, Bauernschwank oder die Filme seines Freundes Herbert Achternbusch, alles ist drin.
Gegen den Strich geht bisweilen auch die kunstvolle Sprache, der gallige Ton, der grobe Umgang miteinander. Leichtigkeit sucht man zwischen bäuerlichem Alltag, kirchlicher Willkür und Kriegsverbrechen vergebens. Aber die wäre wohl auch aus der Zeit gefallen. Es gibt genug Verstörendes, Irritierendes, schwer Auszuhaltendes – keine leichte Kost, gängige Unterhaltung wäre wohl das letzte, was Bierbichler im Sinn hatte. Aber der Versuch, den Geist des Buches zu erfassen, ist bemerkens- und allemal sehenswert. Irritierend vielleicht für ein junges Publikum – in einer Zeit, die langsam vergisst, was es mit der Schuld auf sich hatte und wie sie in die Gegenwart wirkt –, fesselnd aber für die Generation, die mit ihren Vätern noch darüber diskutierte, was sie im Krieg gemacht haben. Ein Film jedenfalls mit einem starken, sperrigen, intensiven Eigenleben.
Filmstart: 22. März
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