Ich stöbere gern in Altwaren- und Secondhand-Läden und lasse mich oft zu Einkäufen verführen, die andere für unnötig halten würden. Wenn ich mich selbst beobachte, merke ich, dass ich dazu neige, Sachen zu kaufen, die ich so ähnlich schon habe. Anscheinend gibt mir das Sicherheit. Vielleicht kaufe ich auch aus Frust unnötige Dinge. Ich bin viel allein. Da gibt es eine Frau, die mir gefällt, aber ich bin Luft für sie.
Ein interessantes Angebot
Natürlich kennen mich viele Händler und bieten mir manchmal Stücke an, bei deren Entdeckung sie sofort an mich gedacht haben, wie sie versichern.
Neulich zog mich Herr Kraut von der Firma Kraut, Ruben und Söhne, Antiquitäten in sein Hinterzimmer und sagte mit verschwörerischer Stimme: »Ich habe da etwas ganz Besonderes, Herr Hülsbeck. In nicht ganz einwandfreiem Zustand, etwas zerknittert, daher zum Sonderpreis, aber tadellos zu gebrauchen.«
Ich konnte mir nicht vorstellen, was das sein sollte, war sehr neugierig, und er hatte mich mit seiner Geheimniskrämerei schon an der Angel.
Es war eine Seele! Herr Kraut bewahrte sie in einer Schachtel auf, die mit rotem Samt ausgeschlagen war. Ich befühlte die Seele vorsichtig – sie war zweifellos feinstofflich.
»Wie sind Sie daran gekommen?«, fragte ich.
»Nun, wie Sie vielleicht schon einmal gehört haben, gibt es Menschen, die sich entschließen, ihre Seele zu verkaufen. Diejenigen, die das fordern, eine Firma, eine Partei, Sekte, die Mafia, oder der Leibhaftige, können mit der Seele dann gar nichts anfangen und stoßen sie wieder ab. Es genügt ihnen, dass der Mensch sie nicht mehr hat.«
Ich steckte meine Nase in die schöne Schachtel und nahm eine Geruchsprobe: Hund, Rosenkohl, Diesel, Cool Water, ja, und eine Blumenwiese – mit Kuhfladen. Die letzte Komponente überzeugte mich, keine Ahnung warum. Vielleicht eine Erinnerung an Ferien im Voralpenland.
Das erste Probe-Tragen
Über den Preis wurde ich mir mit Herrn Kraut rasch einig, dann trug ich meine neueste Erwerbung nach Hause. Da ich sie nicht sofort brauchte, wanderte die Schachtel erst einmal in ein Regal im Ankleidezimmer.
An einem langweiligen, verregneten Sonntag probierte ich meine Seele aus zweiter Hand zum ersten mal an. Ich streifte sie einfach über meine alte, von der ich mich nicht trennen wollte, nur weil ich jetzt eine neue hatte. Nachdem ich mich in meinen Lieblingssessel gesetzt hatte, schloss ich die Augen und spürte in mich hinein. Da waren auf einmal viel Anstand, philosophische Überlegungen, moralische Bedenken, Liebe zur Natur und den Wissenschaften, Verantwortungsgefühl. Meine alte Seele signalisierte Hochachtung. Warum hatte der erste Besitzer diese sehr respektable Seele verkauft? Ich verbrachte den ganzen Nachmittag damit, ihr zu lauschen. Hausmusik, lange, kluge Gespräche, eine gewisse Sturheit, Oberlehrerton.
Langsam dämmerte es mir, dass diese Seele für das Umfeld anstrengend sein konnte. Es fehlte Geschmeidigkeit, dafür gab es ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis. Festhalten an ethischen Idealen – damit kann man keine Karriere machen. Dafür musste man so eine Seele verkaufen. Was der Mensch wohl dafür bekommen hatte?
Aber jetzt hatte ich sie. Was sollte ich damit anfangen, zu welchen Anlässen konnte ich sie tragen? Ich beschloss, sie wieder in ihre Schachtel zu legen und darüber zu schlafen.
Mit fremden Federn geschmückt?
Der Groschen fiel, als ich meiner Nachbarin, Frau Dr. Blume, im Treppenhaus begegnete. Auf sie hatte ich schon lange ein Auge geworfen. Einmal hatte ich sie zu mir zum Kaffee eingeladen und im Gespräch versucht, meine Vorzüge ins rechte Licht zu rücken. Doch sie wirkte gelangweilt und begegnet mir seitdem höflich distanziert. Mit der schönen Seele eines gebildeten, engagierten Gutmenschen könnte ich sie bestimmt verführen, und meiner alten Seele wäre das eine große Genugtuung!
Und was soll ich sagen, es hat geklappt!
Der Text zum Anhören, gelesen von der Autorin selbst (Aufnahme und Schnitt Volker Gerth/ Audio Media Verlag, Regie Iris Seyband):
Iris Seyband berichtet hier › über den Tag im Tonstudio, bei dem diese Aufnahme entstanden ist.
Was sagen Sie dazu?