Ich habe Mirko Bonné 2017 während meines Studiums in Lüneburg nach seiner Lesung kennen gelernt. Obwohl ich zu der Zeit so heiser war, da ich selbst einige Vorträge gehalten hatte, dass ich kaum sprechen konnte, bin ich zu ihm gegangen. Meine innere Stimme sagte mir, dass ich ihn und meine Mutter unbedingt miteinander vertraut machen sollte.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass er gerade dabei war, eine Forterzählung des »Kleinen Prinzen« von Antoine de Saint-Exupéry zu schreiben: Die Widerspenstigkeit ››. Und wie das Schicksal so spielt, hat meine Mutter Katrin Hupe ›› auf einer gemeinsamen Reise durch die Sahara in meiner Kindheit in ihrer Fotoserie Poesie des Mülls ›› einen Brunnen in der Wüste fotografiert, bei dem sie damals sofort die Assoziation hatte, den Brunnen des kleinen Prinzen gefunden zu haben. Zudem teilen meine Mutter und ich eine große Liebe zum Werk Antoine de Saint-Exupérys.
Rasch entwickelte sich ein reger Austausch zwischen Mirko, mir und meiner Mutter von Texten, Gedichten, Fotografien und Fragen zu unseren Erfahrungen in der Wüste und insbesondere den Landschaften.
Über Freundschaft
Und so kam es, dass der Karl Rauch Verlag ››, der Originalverlag des Kleinen Prinzen, nicht nur ein Buch von Mirko Bonné mit Fotografien von Katrin Hupe herausbrachte, ein im Heute angesiedeltes Märchen, das in einer halb realen, halb fiktiven Gegend der Nordsahara spielt, der libyschen Wüste Tam, sondern sich auch eine Freundschaft zwischen uns dreien entwickelte, die bis heute währt.
In »Die Widerspenstigkeit« sucht der Erzähler nach dem Flugzeug, mit dem Antoine de Saint-Exupéry am Silvestertag 1935 notlanden musste. Ein kleiner Wüstenfuchs, ein Fennek, beobachtet und begleitet ihn und lässt sich schließlich auf ganz eigene Weise mit ihm auf Gespräche über das Leben ein, über Liebe und Verlassenheit, über Menschen und Tiere, über Zähmung und Widerspenstigkeit. Es ist der Beginn einer mehr als ungewöhnlichen Freundschaft. Der Kleine Prinz hat uns alle schon so viel gelehrt und es ist schön, seinem Freund, dem Fuchs zu folgen und mehr über das Fliegen zur damaligen Zeit zu erfahren.
Exklusiv bei eigenleben.jetzt: Unveröffentlichte Gedichte von Mirko Bonné
Die folgenden Gedichte von Mirko Bonné, die er uns exklusiv zur Verfügung stellt, werden begleitet von Zeichnungen des Künstlers Michael C. Peters ››.
Michael C. Peters ist ein deutscher Maler und Fotograf mit Ausstellungen in England, Tschechien, Italien und Spanien. Er selbst sieht sich als Reisender und Gast auf der Erde. Seine Kunst ist sehr vielseitig und reicht von inszenierter Fotografie bis hin zu Malerei mit Elementen asiatischer Tuschezeichnung. Man könnte ihn zwischen Pollock und Zen, zeitgenössischer abstrakter Malerei und asiatischer Philosophie einordnen. Von Bedeutung in seinen Werken ist auch die Weite, der unendliche Raum, was von ihm oftmals durch einen weißen Hintergrund ausgedrückt wird. Wir haben ihn beim Social Innovation Camp ›› der World Citizen School virtuell kennengelernt, seine Arbeiten gesehen und ihn spontan zu diesem Projekt eingeladen.
Der Hirschberg
Es war der Hirschberg, nein ich weiß nicht mehr,
ob es der Hirschberg war, auf den ich so
hinaufgezwungen worden bin, da war
ich acht, neun, älter keinesfalls, der Stock,
den ich mir irgendwo am Weg hinauf
vom Boden aufhob, überragte mich
und ging, als ihn ein Mann mir wegriss, doch
dem Mann nur bis zur Brust.
Das weiß ich noch.
Sonst aber sind mir nur erinnerlich
ein seltsam tiefes Glücksgefühl und dumpf
der Trotz, aus dem sie aufgestiegen war,
die Wonne, nicht bloß Eigentum zu sein,
nein sondern einer, der es selbst bestimmt,
wohin er geht, wieso, mit wem, wem nicht
und wann.
Es war ein grauer Nachmittag.
Vom Hirschberg – so es denn der Hirschberg war –
sah man ins Tegernseer Tal und sah,
dort unten, Wunder, lag der Tegernsee.
Der Hirschberg – „Hirsch?“ – war nur ein Schwarzes Loch
aus Koniferen, Fichten, Tannen, Kiefern, die
den Nebel zu erzeugen schienen, Dunst
und mich und Nieseln absorbierten. Was
ein Junge, so wie ich es war – ein „Hemd“,
ein „Mädchen“ – fühlte, dachte, glaubte, wo
die Unterschiede waren – schnuppe, schnurz.
Warum so viele Leute hier mit ihm,
mit seiner Mutter und mit ihrer so
den Berg hinaufmarschierten – schleierhaft.
Die Vögel stürzten durch den Tag, die Luft
war wie aus Wasser und ein Ende nicht
in Sicht. Da fing ich an, ich weiß nicht mehr –
da ist ein Loch in der Erinnerung –,
wie ich drauf kam, das Tempo anzuziehen.
Es muss der Trotz gewesen sein, der Zorn
darauf, hier mitgeschleift zu werden, doch
bestimmt lag aller Grund verwurzelt, bah!
in meiner frühen Kindheit, meinem Reich,
in dem ich mit den Dingen sprach, sie nicht
verstand, die Vögel dolmetschten und mir
kein Kauz mehr und kein Specht verständlich blieb.
Ich wurde schneller, schneller, schneller und
war bald schon außer Sicht, weg, hörte nicht
auf Rufe, Pfeifen, weder meiner Mutter noch
auf das Geflüster ihrer Mutter, das,
war ich mit ihr allein, nur sachte war,
Quatsch, es war warm und wirklich, liebevoll.
Ich lief aus Leibeskräften, das, nur das
ist die lebendigste Erinnerung
an diesen grauen Hirschbergnachmittag,
der, würde meine Mutter sagen, gar
nicht stattfand auf dem dummen Hirschberg, Gott,
was ist mein Sohn für ein Idiot.
Ich lief.
Ich hatte endlos lange Beine, und
ein Mann mit weißem Bart und Hut, auf dem
ein Vogel war, nein ein, zwei Federn nur,
ein Vogel aus zwei Federn, dieser Mann
riss mir den Stock weg, doch selbst das war gut.
Worüber Mutter sprach mit Mutter, mir
war das doch gleich. Ich wusste nicht, was Sinn,
Bedeutung, Zweck und Name waren, ob
der Hirschberg Hirschberg hieß, weil er mal Berg
voll Hirschen war. Ich wusste nicht mal, ob
die Sonne morgen aufging oder nicht,
ob es mich wirklich gab. Ich lief.
Ich lief.
An manchen Biegungen des Wegs ins Tal
sah ich den Hirsch, den Hirsch des Hirschbergs, nur
war der vielleicht bloß Lichtstreif, Nebel, Dampf,
an ein paar Stellen Spinnen im Gezweig,
ihr Spinnenantlitz warten und das Netz
voll Tropfenperlen hängend, während ich
der Mutter, ihrer Mutter und mir selbst
voraus ins Tal lief, mutterseelenfremd
voraus, des Stocks und aller Bindung an
den Regenschlamm des Wegs hinab beraubt.
Der Regen hämmerte sein Metrum ein
ins Holz der Bäume, die noch wuchsen und
die schon gestorben waren. Alles war
so durstig, hatte Durst wie ich, war froh,
dass es den Regen gab, der endlos schien,
er klopfte bloß und sagte ich – sie – ich –
bis er zu Ende war.
Ich wartete
am Parkplatz auf die beiden Frauen, und
ich wusste, was passieren würde, nur
passierte nichts davon. Sie schwiegen bloß.
Wir stiegen ein in unseren VW.
Wir fuhren heim. Bad Wiessee, Tegernsee,
dann Gmund und Finsterwald, fast bis nach Tölz.
Der Hirschberg blieb zurück und war vielleicht
in Wirklichkeit ein anderer, wie ich,
als ich in mir den Berg hinunterlief,
ein Jüngling oder Hirsch, ein junger Hirsch.
Die Schatten werfen
zwei schwarze gesichter
und traum
Tadeusz Różewicz
Die Schatten werfen die Ereignisse voraus,
die Sonne scheint dagegen machtlos, und
so bist es du als Kind, von dem du lernst.
Was tat ich an dem Nachmittag, woher war ich
gekommen, als ich durch den Garten lief, zum Fenster,
ins Zimmer sah und dass da bloß noch Schatten war?
Schmerz sah ich, Angst, Tod, Leben der Gespenster,
ich hatte Augen nie für so etwas gehabt. Die Tränen im
Gesicht der Mutter, als der Freund zusammenbrach,
vornüberkippte auf die Knie, dann fiel, zu Boden ging,
das stumme Weinen der Verzweiflung und das kalte Glas
der Scheibe an die Stirn gepresst, der schwarze Tanz
an Wänden, auf dem Teppich, unterm Glastisch und
die Schatten der vorausgeworfenen Ereignisse in dem
erloschenen Gesicht und im Gesicht der jungen Frau.
Für beide war ich unsichtbar. Ich lernte zuzusehen und
dass die Zusammenhänge enden ohne einen Sinn.
Ich fühlte nur das Glas und wie die Zeit verging.
Der Junge, der ich war und unverändert bin,
sah zu, wie einer starb, ich lernte leben und von Glas
und meiner Haut den Unterschied. Ich lernte machtlos sein.
Johannisbeeren
Am Ende der Wiese, bei der kleinen Wasserstation,
stehen Männer im Blaumann, frühmorgens schon.
Sie haben einen Auftrag, wie Bauarbeiter immer.
Ein leichter Holzkohlegeruch weht in dein Zimmer.
Du stehst am Fenster, blickst verwundert hinaus.
Vor der Weite der Felder das letzte ist euer Haus …
So kannst du gut sehen, dass dort noch einer steht.
Er ist groß und trägt Schwarz, hat so ein Atemgerät
am Gürtel, aus dem Wasserdampf steigt, hat Flügel,
drei Paar, sechs dunkle Schwingen, fast wie Bügel,
die zittern und kurz schlagen, sobald jemand spricht.
Welches Gesicht er dabei macht, erkennt man nicht.
Da sind in den überall roten Johannisbeerbüschen
Kinder, die Fangen spielen, nur ständig entwischen.
Keiner fängt jemanden, und niemand wird gefangen.
Schon kommen sie gekrochen, die kleinen Schlangen.
Und die Bauarbeiter lachen hell am Ende der Wiese,
weil jede schwierigere Aufgabe sein sollte wie diese.
Einer isst von den Beeren. Er wirft den anderen zu.
Gleich folgt die Pointe, die gute Moral. Meinst du?
Nichts da. Die am Leben sind – alle Gespenster –,
müssen warten, wie du, versteckt dort am Fenster.
Sie graben die Büsche aus, sie löschen alles Rot.
Und aus dem Gras zu dir hinauf blinzelt der Tod.
Vita Mirko Bonné
Mirko Bonné ››, geboren 1965 in Tegernsee, ist Erzähler, Lyriker und Reisender. Seine Werke – darunter Der eiskalte Himmel, ein bewegendes Buch, das Einblick in Sir Ernest Shackletons Expedition durch die Antarktis gewährt – wurden vielfach ausgezeichnet. Seine letzten größeren Buchveröffentlichungen sind der Roman Lichter als der Tag (2017) ›› und sein Gedichtband Wimpern und Asche (2018) ››.
Eine Fortsetzung mit weiteren Gedichten von Mirko Bonné und Bildern von Michael C. Peters ist kürzlich bei uns erschienen ›. Auf unseren sozialen Kanälen liest der Autor persönlich exklusiv für uns regelmäßig eines seiner Gedichte. Um keine der Lesungen zu verpassen, folgen Sie uns auf Instagram ›› und Facebook ››.
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