Eigentlich wollte ich nur noch schnell im münsterischen Kreuzviertel etwas einkaufen, aber dann begegnete ich in der schmalen »Konservengasse« des Supermarktes am Kreuztor ›› einer alten Frau, die mit ihrem Einkaufswagen gegen meinen gestoßen war und sich völlig übertrieben dafür entschuldigte.
»Jetzt lassen Sie es mal gut sein«, versuche ich sie zu beruhigen und füge noch ohne viel nachzudenken hinzu: »Dann kämpfen Sie sich mal durch das Riesensortiment hier.«
»Ich bin nicht verbittert«
»Kämpfen habe ich in meinem langen Leben allerdings gelernt«, antwortet sie sofort und beginnt diese Aussage zu erläutern. »Mein erster Mann starb im Krieg und meine zweite Ehe endete nach nur fünf Jahren. Beim Apfelpflücken fiel später auch noch Heinz aus dem Baum und seitdem bin ich endgültig Witwe. Mit meiner Minirente muss ich tatsächlich jeden Tag kämpfen.«
»Das hat Sie bestimmt hart gemacht, oder?« frage ich sie. Frau Schulz überlegt kurz und entgegnet mit einem sanften Lächeln im Gesicht: »Ja, könnte man meinen, ist aber nicht so, wie Sie vielleicht denken. Ich lebe zwar ‚auf kleinem Fuß‘, aber bin nicht verbittert – eher im Gegenteil.«
»Das müssen Sie mir erklären«, bitte ich sie neugierig.
»Ach wissen Sie, ich kann wegen meiner Behinderung umsonst mit dem Bus fahren. Beim Frühstück überlege ich mir bereits, welche Linie heute dran ist. Ich fahre dann bis zur Endstation und wieder zurück. Oder direkt die Ringlinie um die ganze Innenstadt.«
»Das Lächeln muss aus dem Herzen kommen«
»Ist das nicht langweilig?« will ich wissen.
»Überhaupt nicht«, entgegnet sie leidenschaftlich und fährt fort: »Viele Menschen, in deren Gesichter ich schaue, müssen noch viel Schlimmeres als ich erlebt haben. Ansonsten würden sie doch nicht derart traurig, ja regelrecht verbittert dreinschauen, denke ich mir, und versuche dann, sie mit einem Lächeln aufzumuntern. Ich bemühe mich, dass es nicht wie ein künstliches Lächeln wirkt, sondern aus meinem Herzen kommt.«
Dank ist selten
Ich bin beeindruckt: »Kommt da auch schon mal was zurück?«
»Das passiert selten, aber dann umso nachhaltiger«, antwortet sie, hält ein wenig inne, fährt den Einkaufswagen zur Seite und verändert ihre Tonlage, sodass ich spüre, wie wichtig ihr das folgende ist: »Einmal stieg ein Mann mit mir zusammen aus und flüsterte mir zu: ‚Danke für das Lächeln, das sie mir eben geschenkt haben‘.«
Ich spüre, dass sie sich darüber sehr gefreut hatte und frage sie noch: »Endet Ihr Tag gleichermaßen interessant, wie er mit den Frühstücksgedanken beginnt?«
»Ach wissen Sie“, antwortet sie: »Bevor ich meinen Tag beende, setze ich mich auf die Bettkante, denn von dort aus habe ich einen freien Blick auf die Kreuzkirche ›› . Ich kann die Westseite des Turms und damit das hell erleuchtete ‚Ja‘ am Kirchturm sehen. Mit dem sicheren Wissen, dass auf den anderen Seiten das ‚Ja‘ ergänzt wird mit: ‚Ich bin da‘, gehe ich ins Bett und meistens kann ich anschließend gut schlafen.«
Was sagen Sie dazu?