Eigentlich wollte ich das schon immer mal machen“ sagt Christine. „Dichterlesung, Rezitation, vielleicht mit Musik. Im kleinen Rahmen. Vielleicht bei mir zu Hause, zum Ausprobieren. Rilke.“
Wow, denke ich, das wär was für mich. „Könnte ich da auch kommen?“ Christine nickt, gibt mir ein Blatt mit Daten, Adresse usw. Freitag oder Samstag zur Auswahl. Ich soll mich melden, wann’s bei mir klappt.
Ich bin zum ersten Mal bei einem Eigenleben-Treff. Christine sitzt mir schräg gegenüber. Sympathisch. Locker. Passt. Auch die anderen Mitglieder des Vereins gefallen mir. Interessantes Thema. Anne, die Vorsitzende, moderiert gekonnt den Abend. Interessante Vorschläge, interessante Gespräche, interessante Menschen. Es gefällt mir hier.
Und Rilke mit Musik finde ich sowieso interessant. Ein paar Tage später melde ich mich bei Christine für Freitag an, Beginn 18:30 Uhr.
Ich werde herzlich empfangen. Ein paar Frauen sind schon da, ich stell‘ mich einfach dazu. Das Wohnzimmer ist ausgeräumt, teilweise, zwei Stuhlreihen, einige Einzelstühle. Am Klavier improvisiert eine Frau mit blondem Bubikopf und strahlendem Lächeln, Kristina Kuzminskaite, wie sich später herausstellt.
Christine eröffnet den Abend, liest jeweils ein Rilke-Gedicht vor. Gekonnt. Kristina übersetzt es daraufhin in Musik und Gesang – sie verwebt Text und Musik, Form und Ausdruck, baut Brücken, die den Text erschließen durch die Harmonie ihrer Klänge, die Kraft, Schönheit und Klarheit ihrer Stimme. Sie hat jedes Musikstück selbst komponiert.
Ein kleines gelbes Buch ist das Größte
Sie stammt aus Litauen, erzählt sie später. Rilke war früher verboten bei ihnen. Als sie nach Deutschland kam zum Studieren, kaufte sie sich als Erstes eines der kleinen gelben Heftchen mit Rilke-Gedichten. Sie liebt Rilke. Sie fühlt Rilke. Sie versteht Rilke. Das kommt rüber.
Wir zwölf Frauen sitzen gebannt und berührt und lassen uns entführen.
Am Ende gibt es Rosen für Kristina und Christine. Beim Vorbeitragen löst sich eine kleine Wolke Rosenduft und weht zu uns rüber. Sagt auch was.
In der Küche steht ein kleines Buffet bereit. Yanti aus Indonesien hat Köstlichkeiten kreiert und spendiert. Mmmh… Ein Schlückchen Wein, wer mag. Zeit, uns auszutauschen. Einfach schön.
Morgen, Samstag, gibt es noch zwei freie Plätze am Abend. Ich denke, das gefällt meiner Freundin und ihrem Freund. Ich ruf‘ sie mal an in der Früh …
Ulrike Ziegler schreibt
Liebe Christine, das klingt ja wunderbar! Ich wär gern dabeigewesen, konnte leider nicht kommen. Gibt es eine Wiederholung? Dann komm ich bestimmt!
Mirjam Steiner schreibt
Liebe Christine, mit großem Interesse habe ich den Artikel über den musikalisch-literarischen Abend in Deinem Wohnzimmer gelesen. Ich bin professionelle Märchenerzählerin und erzähle hauptsächlich für ERwachsene, frei und wortgetreu, Volksmärchen aus aller Welt.
Kannst Du Dir vorstellen Deine „gute Stube“ nocheinmal zu öffnen, für einen Märchennachmittag oder Abend, mit oder ohne Musik. Mein Wohnzimmer ist leider zu klein und zu weit außerhalb Münchens.
Freue mich von Dir zu lesen und hoffe Dich auf diesem Weg erreichen zu können. Mirjam